Der Musikstudent
beginnt mit den Gitams und lernt dann die Svarajatis und Jatisvaram. In einem
vollständigen Musikprogramm ist der Höhepunkt die Darbietung des Varnam.Es
gibt viele andere Formen der sogenannten “leichten klassischen Musik”;
die Thumri, Tappa, Ghazal und die Javalis werden nun in Konzerten und
Tanzprogrammen gesungen. Während die klassische Tradition vom Inhalt
her im wesentlichen religiös ist, verwendet die leichte klassische
Musik mehr weltliche Metaphern und Vergleiche im gesungenen Text.
Musikkonzerte
In
den Städten werden Musikkonzerte hauptsächlich während der
Wintersaison (Oktober bis März) veranstaltet und ziehen ein großes
Publikum an. Das indische Konzert unterscheidet sich vom westlichen in
vielerlei Hinsicht. In Indien sitzt der Sänger mit verschränkten
Beinen im Zentrum der Bühne, die begleitenden Instrumente wie die
Trommeln und die Flöte umgeben ihn. Die Darbietung beginnt mit dem
Stimmen der Instrumente, hebt in einem langsamen Tempo an und arbeitet
sich zum Höhepunkt vor. Während des Programms kann der Sänger die
Instrumentalisten dazu auffordern, ein Solo zu spielen. Der Trommler
hat dann die Gelegenheit, sein Können in der Beibehaltung des
Tala-Zyklus zu demonstrieren, während er eine kunstvolle Mischung von
regulären Rhythmen und unbetonten Taktzeiten entwickelt. Musikkonzerte
nehmen oft den ganzen Abend in Anspruch, da viel improvisiert wird.
Das Klatschen ist eine westliche Angewohnheit, und bei den meisten
Konzerten sagen Zuhörer “wah,wah’ oder nicken zustimmend mit den
Köpfen bei besonders gelungenen oder ungewöhnlichen Passagen. Früher
saß das Publikum ganz in der Nähe des Künstlers, und oft entwickelte
sich zwischen ihnen beiden aufgrund der gemeinsamen Wertschätzung der
Musik ein enges Verhältnis.
Musikinstrumente
Der
Reichtum der Musiktraditionen Indiens hat die Erfindung einer
außergewöhnlichen Vielfalt von Musikinstrumenten bewirkt. Manche von
ihnen können als Soloinstrumente gespielt werden, andere begleiten den
Sänger oder Tänzer, während Instrumente wie die Muscheltrompete
ausschließlich in der rituellen oder religiösen Musik eingesetzt
werden. Das Alter gewisser Instrumente wie schon von prähistorischen
Höhlenmalereien und den Skulpturen alter Tempel im ganzen Land belegt.
Obwohl man nicht genau weiß. welche Musik gespielt wurde, kamen die
Instrumente dann vor 1000 Jahren zum Einsatz, als Musik ein wichtiger
Bestandteil der rituellen Anbetung war.
Die
Klassifizierung der Musikinstrumente ergibt sich durch die Art der
Erzeugung des Tones: Saiten-, Blas- oder Schlaginstrumente. Die
Komplexität der Saiteninstrumente reicht von der Ektara, was wörtlich
“eine Saite” bedeutet, bis zur Sitar Nordindiens und der Veena des
Südens. Die Veena und die Sitar haben runde Resonanzkörper aus hohlem
Kürbis. Die Drähte sind an Wirbeln befestigt, während der bewegliche
Bund dem Spiel der Raga angepaßt werden kann. Die Sitar hat im Ausland
große Popularität erreicht, als die Beatles mit Ravi Shanker zusammen,
einem der führenden Sitar-Spieler Indiens, Stücke komponierten. Eine
weiteres verbreitetes Saiteninstrument ist die Sarod. Sie ist der der
Rabab West- und Zentralasiens ähnlich und besteht aus Holz, das mit
Tierhaut und einer Metallplatte auf dem Griffbrett versehen ist. Die
Saiteninstrumente werden zum Klingen gebracht, indem man an der
entsprechenden Stelle den Finger an die Saiten hält und sie
gleichzeitig schlägt, so daß die Töne der Saiten deutlich zu hören
sind. Das Zupfen der Saiten kann mit dem Finger oder einem Metallstück
über dem Finger vorgenommen werden wie bei der Sitar. Aus dem
Kaschmir-Tal stammt die Santoor, ein hohler hölzerner Klangkörper,
über den viele Saiten gespannt sind. Sie werden mit einem Holzstock
geschlagen, was einen flüssigen, süßen Klang zur Folge hat. Das
Sarangi ist ein Streichinstrument und wird zur Begleitung von
hindustanischer Vokalmusik eingesetzt. Die Violine, die Zur gleichen
Instrumentengattung gehört, ist oft Bestandteil der vokalen
Karnatak-Musik und gehört inzwischen zur indischen Musiktradition. In
Indien wird die Violine in sitzender Position gespielt. Ein
gewöhnlicher Anblick in den Touristengegenden von Rajasthan sind
Wandermusiker mit der Ravanhasta Veena, die wie die Volksgeige ein
einfaches Streichinstrument ist.
Die
Schlangenbeschwörer, die sich an touristischen Orten aufhalten,
spielen ein traditionelles Blasinstrument namens Been, das aus einer
kürbisähnlichen Frucht gefertigt ist. Sie wird getrocknet und
ausgehöhlt und dann mit Bambusröhren versehen, die wie eine Flöte
Löcher aufweisen. Die beliebtesten Blasinstrumente Indiens sind die
Bambusflöten, die in verschiedenen Längen und Durchmessern hergestellt
werden. Krischna, ein Avatar (Inkarnation des Gottes Wischnu) wird auf
Gemälden, von Skulpturen sowie im Tanz und der Dichtung oft
flötespielend dargestellt. Zwei bekannt Konzertinstrumente sind die
Shenai Nordindiens und die Nagaswaram der Karnatak-Musik, beides
Rohrblattinstrumente. Hörner und riesige Metallpfeifen kommen in den
Bergregionen von Ladakh und Himachal Pradesh zum Einsatz.
Es
gibt viele Arten von Trommeln in Indien; doppeltbespannte, die auf
beiden Seiten geschlagen werden können wie die Dholak oder die
Pakhawaj, die den Rhythmus des Dhrupad-Gesangs untermalen, oder die
Mridangam, die der Begleitung von Karnatak-Musik dient. Die Mridangam
liegt auf dem Schoß des Künstlers und wird mit den Händen auf beiden
Seiten geschlagen. Es handelt sich um eine sehr große und alte
Trommel, die früher sowohl für rituelle Zwecke als auch für den
Kriegsruf verwendet wurde. Die Tabla besteht aus zwei einfach
bespannten Trommeln, von denen die eine mit der rechten, die andere
mit der linken Hand gespielt wird; sie ist die beliebteste Begleitung
der Hindustani-Musik. Der Ursprung der Tabla ist nicht eindeutig: Man
nimmt an, daß sie aus Persien stammt, doch es gibt viele Darstellungen
von ähnlichen Instrumenten auf alten Gemälden.
Zur
Begleitung religiöser Feste in Kerala steht ein Orchester von großen
Trommeln, wie der Chenda, und Pfeifen zur Verfügung.
Die letzte Instrumentenkategorie sind Schlaginstrumente wie Glocken,
Klöppel, Becken und Gongs, die in erster Linie eine rhythmische
Funktion haben. Das innovativste Instrument ist der Ghatam, ein
Tontopf, der auf dem Schoß des Musikers liegt und dem mit Fingern oder
Schlagringen ein tonaler Rhythmus entlockt wird. Jaltarang sind mit
Wasser gefüllte chinesische Schalen unterschiedlicher Größe, die mit
einem Stock zum Erklingen gebracht werden.
Moderne Ensembles
Um
zeitgenössischen Anforderungen gerecht zu werden, stellt man Orchester
aus verschiedenen Instrumenten oder unterschiedlichen Trommeln
zusammen. Musikinstrumente wie Flöte, Shenai, Sitar, Sarod und Veena
spielen zur Trommelbegleitung und sind auch als
Solo-Konzertinstrumente beliebt geworden. Die Ausbildung an solch
komplexen Instrumenten beginnt in jungen Jahren, und die Künstler über
mehrere Stunden am Tag, um die Feinheiten der Raga und der Tala zu
erarbeiten.
Erst wenn eine gewisse Fertigkeit erlangt ist, kann der Künstler
improvisieren, die Raga kreativ spielen und subtile Nuancen der
Stimmung sowie Bhava (Ausdruck) erzeugen. Läden, die wunderschöne
Instrumente verkaufen, findet man in allen größeren Städten. Viele
Touristen bringen eine Sitar, Flöte oder Tabla als Souvenir nach
Hause.
Indien tanzt
Die
außergewöhnliche kulturelle Vielfalt Indiens gestattet nicht die
Verwendung eines Begriffs wie “ indischer Tanz”.
Wie auch in der musikalischen Tradition existieren mehrere hundert
Formen des ländlichen und des Stammestanzes in verschiedenen
Gemeinschaften und Regionen des Landes; etwa 20 Millionen
Stammesangehörige tragen zu dieser Tradition bei.
Die Tänze der Stämme werden bei festlichen Anlässen und
gesellschaftlichen Ereignissen wie Hochzeiten und Ritualen aufgeführt.
Luxushotels lassen oft Tanztruppen aus der umliegenden Region für ihre
Gäste auftreten.
Doch diese Tanztruppen sind nicht immer authentisch, denn ihre
einstudierte Choreographie und standardisierten Tänze schließen den
spontanen, freien Ausdruck aus, der für diese Stammes-oder Landtänze
so charakteristisch ist.
Tanzdramen
Zum
Tanz Indiens gehören auch Tanz-dramen wie Kathakali aus Kerala,
Yak-shagan aus Karnataka und Kuchipudi aus Andhra Pradesh. In jenen
Produktionen stellen zahlreiche Schauspieler Tänzer die Geschichte auf
der Bühne dar. Dieses riesige Spektrum indischer Tanzformen wird durch
die klassische Tradition ergänzt. Bharatnatyam aus Tamil Nadu und
Südindien, Kuchipudi aus Andhra Pradesh, Odissi aus Orissa, Kat-hakali
aus Kerala, Kathak aus
Nordindien und Manipuri aus dem östlichen Bundesstaat Manipur gelten
als die anerkannt klassischen Tanzformen Indiens.
Der Draht zum
Publikum
Indische Künstler müssen ein enges Verhältnis mit ihrem Publikum herstellen,
wenn sie ihr Bestes geben wollen. Anders als im Westen wo die meisten
klassischen Darbietungen in einer sterilen Atmosphäre stattfinden und wo ein
unruhiger Zuschauer Unmut erregt, ist bei einer indischen Kulturveranstaltung
Zwanglosigkeit an der Tagesordnung.
Auf dem Subkontinent ist das Publikum eins mit dem Künstler, der seine
Zuschauer direkt anredet. Während er Poesie, Ghazals (kurze, emotionale Verse)
oder Shairi (musikalische Dichtung) rezitiert, die meist von der Lieben
handeln, ruft das Publikum fortwährend ,,Wah-wah” – die indische Version von
,,Bravo”.
Ein Musiker erwartet die gleiche Reaktion nach einigen perfekten Klängen, wie
auch ein außergewöhnlich begabter Tänzer. Je mehr sich das Publikum für den
Darbietenden erwärmt, desto besser die Vorführung. Traditionell haben sich
indische Darbietungen immer auf die Schaffung einer intimen Atmosphäre
verlassen, und große Stadtauditorien verhindern dies. Künstler der klassischen
Schulen bevorzugen kleinere Veranstaltungsorte. Eine Darbietung in solch einem
Rahmen, die für zwei Stunden angesetzt ist, mag länger dauern, da der Künstler,
von seinem Publikum angespornt, schließlich ganz in seinem Element ist.
Ein ausländischer Zuschauer muß deshalb lernen, im richtigen Moment ein lautes
,,Wah-wah” von sich zu geben.
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