Kathakali ist Drama, und deshalb müssen sich alle Protagonisten
voneinander unterscheiden. Dies wird durch Farbe und Stil sowohl des
Make-ups als auch der Kostüme erreicht. Die “guten” Protagonisten, die göttlichen Ursprungs sind,
haben grün geschminkte Gesichter; Rot steht den Helden gut an, und
eine Kombination von Rot und Schwarz ist den Schurken vorbehalten. Das
Anrühren der Farbpaste und das Auftragen des Make-ups dauern mehrere
Stunden. Ein weißer Bart entsteht auf dem Kinn der Darsteller, indem
Schicht um Schicht der Paste sorgfältig appliziert wird, bis das
Gebilde mehrere Zentimeter aus dem Gesicht herausragt. Dieser trockene
weiße Bart betont das Aussehen des Tänzers, besonders auf der
halbdunklen Freiluftbühne.
Da das Kathakali-Drama göttliche und mythologische Geschichten
darstellt, müssen die Protagonisten angemessen groß oder
übermenschlich erscheinen. Diesen Effekt besorgen Hemden, die mit
zahlreichen Falten und viel künstlichem Schmuck versehen sind, sowie
großer vergoldeter Kopfschmuck und Kronen. Ein Hemd bedeckt den Torso
des Tänzers, während er unterhalb der Knie nackt ist und nur
Fußglöckchen trägt. Im allgemeinen sind die Beine und Füße der Tänzer
nicht mit Ornamenten versehen, da sie auf der traditionellen Bühne
(Bodenebene) sowieso vom Publikum nicht sichtbar sind. Die mit Rüschen
besetzten Hemden sind weiß und deshalb auf der halbdunklen Bühne gut
erkennbar; das Scheinwerferlicht verfängt sich im Schimmer der roten
Schärpen, im Goldschmuck, in den winzigen Spiegeln und Edelsteinen.
Die Bühne des Kathakali lag traditionell auf Bodenebene, das Publikum
saß auf dem Boden. Das Stück beginnt mit einer Anrufung der Götter,
die von einer großen Öllampe vorne auf der Bühne symbolisch
dargestellt werden. Diese Lampe ist auch die einzige
Beleuchtungsquelle für den Tanz. Ein von zwei Assistenten getragenen
Tuch dient als Vorhang der Kathakali-Darbietung. Die Schauspieler
sprechen hinter dem Vorhang ihre rituellen Gebete, und wenn der
Vorhang entfernt wird, beginnt das Stück. Im hinteren Bereich der
Bühne stehen die Musiker und der Sänger (der die Erzählung und die
Dialoge der Schauspieler singt). Die Musik ist laut und aufdringlich,
da man früher ohne Mikrofone auskommen musste und es galt, akustisch
mehrere hundert Zuschauer zu erreichen. Die Tanzbewegungen des
Kathakali sind auch sehr übertrieben und stilisiert, sodass es über
die göttliche Natur der Protagonisten keinen Zweifel gibt.
Kathakali bietet die
kunstvollste Hast (Gestensprache der Hände und des Gesichts). Der
Künstler lernt jeden einzelnen Gesichtsmuskel zu kontrollieren und
einzusetzen, um die Feinheiten des Textes zu veranschaulichen. Während
der Sänger die Verse des Stückes vorträgt, stellen die Schauspieler
den Taxt dar. Die lebhaften Tanzbewegungen und die nuancierten
Gesichtsausdrücke erfordern athletische und geschickte Künstler. Es
gibt zahlreiche fast unmögliche körperliche Übungen, die im Lauf
mehrerer Jahre erlernt werden müssen.
Ausgewogene Nahrung und
regelmäßige Übung sind für den Kathakali, der einer der schwierigsten
Tänze ist, erforderlich. Das Vokabular der Augenbewegungen, der Kinn –
und Wangenmuskeln, die Sprache der Hände und die Position der Finger
ermöglichen es, die subtilste Rasa (Qualität des Textes) auszudrücken.
Der Tanz: Alle
indischen Tänze sind zurückzuführen auf die Rolle, die Gott Shiva als
Nataraj, dem König des Tanzes, spielte. Shivas erste Frau war Sati.
Als Satis Vater, der Shiva gar nicht mochte, Shiva beleidigte, verübte
Sati Selbstmord, indem sie sich verbrannte. Der aufgebrachte Shiva
tötete daraufhin seinen Schwiegervater und tanzte den Tandava – den
Tanz der Zerstörung. Später wurde Sati als Parvati wiedergeboren,
heiratete Shiva erneut und tanzte den Lasya. So wurde Tandava die
männliche Form des Tanzes und Lasya die weibliche Form. Ganz am Anfang
war der Tanz Bestandteil der Tempelzeremonien. Die Tänzer wurden
bekannt als Devadasis und erzählten in ihren Tänzen die Geschichten
aus dem Ramayana oder Mahabharata.
Die Tempeltänze sind heute völlig abgeschafft, aber die klassischen
indischen Tänze basieren alle auf diesem religiösen Hintergrund. Er
besteht aus folgenden Einzelteilen: Nritta (den rhythmischen
Elementen), Nritya (der Kombination von Rhythmus und Ausdruck) und
Natya (dem dramatischen Bestandteil). Nritya findet Ausdruck durch
Augen, Hand und Bewegungen des Gesichts. Diese drei Dinge bilden
zusammen mit
dem Rhythmus (Nritta) die Elemente des Tanzes. Um Natya zu verstehen,
damit ist hier das Tanzdrama gemeint, wird eine tiefergehende Kenntnis
indischer Legenden und der indischen Mythologie vorausgesetzt.
Der indische Tanz ist in vier Grundformen aufgeteilt: Bharat Natya,
Kathakali, Kathak und Manipuri. Der Bharat Natya wiederum ist in drei
Untergruppen aufgeteilt. Sie sind die beliebtesten Formen des
klassischen Tanzes und erzählen Szenen aus dem Leben Krishnas. Diese
Tänze werden ausschließlich von Tänzerinnen ausgeführt. Wie die
Abbildungen in den Skulpturen wird alles nur kniend dargestellt,
niemals in aufrechter Position. Das Repertoire von verschiedenen
Handbewegungen ist bei diesen Tänzerinnen bewundernswert. Drei
Abwandlungen des Bharat Natya sind Orissi, Mohini Attam und Kuchipudi.
Diese Bezeichnungen deuten auf den Entstehungsort hin.
Die Tanzform des Kathakali rangiert an zweiter Stelle. Sie hat ihren
Ursprung in Kerala und wird ausschließlich von Männern getanzt. Durch
sie werden die heldenhaften Kämpfe zwischen Göttern und Dämonen
erzählt. Der Kathakali ist dabei so dynamisch und dramatisch, wie der
Bharat Natya ernst und ausdrucksvoll ist. Berühmt sind beim Kathakali
auch die farbenfrohen Masken und das reichhaltige Make-up der Tänzer.
Augentropfen lassen ihre Augen rot erscheinen.
Der Tanz Manipuri kommt, wie der Name schon sagt, aus der Region
Manipuri im Nordosten Indiens. Er ist eher ein Volkstanz, und die
Erzählungen werden durch Körper und Armbewegungen ausgedrückt. Die
Tänzerinnen tragen Reifröcke und kegelförmige Kappen, beides besonders
farbenprächtig.
Bleibt als letzter klassischer Tanz der Kathak zu erwähnen. Er ist im
Norden Indiens beheimatet und war in seinen Anfängen sehr mit dem
Bharat Natya verwandt. Jedoch veränderten ihn später persische und
moslemische Einflüsse dahingehend, daß aus dem Tanz für Tempelrituale
ein Tanz zur Unterhaltung in den Palästen wurde. Die Tänze werden mit
ausgestreckten Beinen aufgeführt. Die Glocken, die die Tänzer an den
Fußgelenken tragen, müssen unter Kontrolle gehalten werden. Die
Kostüme und die Themen sind häufig den Miniaturen aus der Mogul Ära
ähnlich.
Klassische
Wurzeln
Ähnlich wie die traditionelle Musik scheinen sich die klassischen
indischen Tänze aus einer einzigen Gattungsquelle entwickelt zu haben.
Die Natyashastra ist eine Sanskrit Zusammenstellung
elementarer Komponenten der indischen Musik, des Tanzes und Dramas.
Das Manuskript wurde wahrscheinlich zwischen dem 2. Jahrhundert v.
Chr. und dem 2. Jahrhundert v. Chr. verfaßt. Der Text erläutert die
Grundbestandteile des Tanzes: Musik, Komposition, Bewegung, Kostüme,
Hastas (Handgesten) und den Einsatz von Gesichtsausdrücken und
Körperhaltungen. Alle klassischen Tänze Indiens befolgen die
Prinzipien dieser Abhandlung, doch jede Tanzform hat ihre eigenen
Ausdrucksmöglichkeiten entwickelt.
Formelle Merkmale
Die Prinzipien des indischen Tanzes basieren auf einem klaren
Verständnis der menschlichen Anatomie, die Betonung liegt auf den
Gelenken, nicht auf der Muskelstruktur des Körpers. Der Tänzer kreiert
fließende Muster von Biege- und Streckbewegungen der Knie, der Arme
und des Körpers, die von einer anmutigen Rotation der Handgelenke und
des Kopfes begleitet werden. Alle klassischen Tänze bestehen aus
vielen Teilen, von denen zwei, Nritya und Nritta, große Bedeutung
haben. Nritya oder Abhinaya
bedeutet Drama oder Pantomime und ist die Exposition und
Interpretation gesungener Verse durch eine Reihe von Handbewegungen
und Gesichtsausdrücken. Subtile Nuancen können durch die Verwendung
kodifizierter Hastas vermittelt werden, etwa die Öffnung einer
Lotusblume im sanften Licht der Dämmerung oder eine Waldszene. Dieser
Teil des Tanzes wird von der Vokalmusik dominiert; die Verse stammen
aus religiösen Texten, Musikkompositionen und der Dichtung. Jede
Geschichte oder Episode wird von einer Rasa (Stimmung) beherrscht.
Neun Rasas beschreibt die ästhetische Philosophie. Die populärste ist
die Liebe, und der Tänzer stellt all ihre Stimmungen von der Zuneigung
bis zur völligen Hingabe dar. Die anderen Rasas sind: Tapferkeit, Wut,
Angst, Mitgefühl, Staunen, Abscheu und Humor. Sie alle führen zum
letzten Ziel des Lebens: Shantam (Frieden oder Ruhe). Indische
Ästhetik, Tanz, Musik, Literatur, Malerei und Skulptur können von der
dargebotenen Rasa klassifiziert werden, und das Publikum wird Rasika
genannt (jene, die die Stimmungen solch erlauchter Erlebnisse
schätzen). Der Tanz enthält auch Elemente, die nicht die Verse
interpretieren, sondern Expositionen des Nritta (reinen Tanzes) sind.
Hier wird das ganze Können des Künstlers gefordert, um den Tala
(rhythmischen Zyklus) in abstrakte Muster der Körperbewegungen
umzusetzen. In den meisten klassischen Tänzen trägt der Tänzer
Ghungroos (Fußglöck-chen), und die rhythmische Bewegung der Beine
erzeugt Klängen, die sich in den Tala-Zyklus einfügen. Der Tänzer
nutzt die gesamte Bühnefläche aus, und es gibt selten Requisiten oder
Kulissen. Jede Tanzform hat ihr eigenes Repertoire, ihre Kostüme,
Tanzstile und Musikinstrumente. Diese Tänze wurden ursprünglich im
Tempel als eine Form der Anbetung dargeboten.
Heute wird der klassische Tanz für die Konzertbühne choreographiert;
die Beleuchtung, die Größe der Bühne und die Akustik des Saales haben
den Tanz sehr beeinflußt. Junge Tänzer studieren die Kunstform und
ihre Geschichte und haben dem Tanz eine mehr akademische Dimension
hinzugefügt. Früher wurde diese lebendige Tradition der Komposition
und Musik mündlich überliefert. Heute ziehen Hunderte von Schulen
Kinder und Ausländer an, und die alten Gurus werden allmählich von
ihren besten Schülern ersetzt.
Schulen & Stilarten
Bharatnatyam ist nicht länger auf Tamil Nadu beschränkt und nun eine
beliebte Tanzform, die wegen der Reinheit ihrer Bewegungen und des
riesigen Repertoires ihrer musikalischen Kompositionen geschätzt wird.
Die Tänzer tragen einen modifizierten Sari, der durch helle und
leuchtende Farben auffällt. Der traditionelle Bharatnatyam-Tanzschmuck
besteht aus mit ungeschliffenen Diamanten und Rubinen besetztem Gold.
Schmuck ziert das Haar, die Stirn, den Hals, die Arme und Hüfte der
Tänzerin, während ihr hübsches langes Haar mit Blumen verflochten ist.
Der Tanz beginnt mit dem sanften Alaripu (dem Erblühen) und erreicht
nach der Darstellung von Varnam, Padam und Tillana seinen Höhepunkt.
Für musikalische Begleitung sorgen Sänger, Mridangam-Spieler und das
Becken, die die Komposition strukturieren. Heute hat man dem Ensemble
Instrumente wie Flöte und Violine hinzugefügt.
Odissi soll sich aus alten rituellen Darbietungen der Tempel von
Orissa entwickelt haben. Dieser Tanz betont – im Gegensatz zu den
geometrischen Formen des Bharatnatyam – mehr die Konturen des Körpers
und dessen fließende, kreisende und halbkreisende Bewegungen. Die
Kostüme der Tänzer unterscheiden sich oft voneinander, doch im
allgemeinen werden Orissa-Silber-Schmuck bevorzugt und der
traditionelle gewebte Sari Orissas auf elegante Weise gebunden.
Der Kuchipudi Tanz stammt aus dem gleichnamigen kleinen Dorf des
Bundesstaates Andhra Pradesh. Er war vormals ein Tanzdrama mit vielen
Protagonisten, ist jedoch von den jungen Vertretern des Kuchipudi in
einen Solo-Kunzerttanz verwandelt worden. Die Bewegungen des Kuchipudi
sind einzigartig, obwohl sie nun verschiedene Gesten des Bharatnatyam
übernommen haben. Die Abhinaya- oder Nritya-Tei le des Tanzes stel-len
Geschichten dar, die aus der Welt der Hindugötter und –Göttinen
stammen.
Der Kathak Nordindiens ist vielleicht die jüngste klassische Tanzform.
Er soll sich aus alten Techniken des Geschichtenerzählens entwickelt
haben und wurde sehr von den islamischen Höfen der mittelalterlichen
Periode indischer Geschichte beeinflußt. Jene Aspekte, die sich
offensichtlich von der Hindu-Tradition ableiten, wie etwa die
Erzählung der Taten Krischnas, sind beliebte Themen des Kathak. Die
schnelle Fußarbeit des Tänzers und dessen Vertrautheit mit dem
Rhythmus der Trommeln machen den Kathak zu einem lebhaften und
beliebten Tanzstil.
Zu den Kostümen gehören der lange wirbelnde Ghagra (Rock), der
nordindische Kurta (ein langer Rock) und der Churidhar (ein
enganliegender Pyjama). Die Fußglocken der Tänzer bestehen aus vielen
Ghun-groos (winzigen Glöckchen). Den Kopf oder den Oberkörper bedeckt
ein farbiger Dupata (Schleier) aus zartem Stoff.
Der Manipuri-Tanz verfügt über ein umfangreiches Repertoire, doch am
schönsten ist der Ras. Der Tänzer trägt bei der Darbietung kunstvolle
Kostüme. Die Tänzerin hat ein steifes, langer Kleid an, das, mit Gold,
Silber, bemalten Kunstblumen und Mustern versehen ist. Ihren Kopf
bedeckt ein transparenter, zartfarbener Schleier. Der Tänzer tritt
meist mit nacktem Oberkörper auf und ist in den traditionellen Dhoti
gekleidet (ein elegant um den Unterleib und die Beine geschwungenes
Tuch). Die minimalen Fußbewegungen werden von einer anmutigen Rotation
der Hände und Arme begleitet. Der Tanz ist durch den Kontakt mit Burma
beeinflußt worden.
Während eines Aufenthaltes in Indien werden Sie häufig Gelegenheit
haben, sich diese Tänze anzusehen, und zwar nicht selten sogar in den
größten Hotels, wo Besucher ebenso wie die Hotelgäste willkommen sind
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