DIE EWIGE HAUPTSTADT
,,Delhi hat viele Eingangspforten, aber keinen Ausgang “, heißt es in
einem alten Sprichwort, das aus der Geschichte der Stadt heraus entstanden
ist. Delhi diente als Grenzposten für die Imperien im Osten und als
Zentrum für jene, die ihre Arme über die Ganges Ebene und Afghanistan
hinausstreckten. Mit seiner Lage an einer leicht zu überquerenden Stelle
des Yamuna war es ein strategischer Angelpunkt zwischen Haryana und dem
heutigen Uttar Pradesh. Vor der Teilung des indischen Subkontinents
wandten Schulkinder einen einfachen Trick an, um Delhi auf der Landkarte
zu finden: Sie markierten die größte Nordsüd- sowie Ostwestentfernung des
Landes – am Schnittpunkt lag Delhi.
Es ist in Delhi keineswegs ungewöhnlich, auf Spuren früherer Siedlungen zu
treffen. Wäre die Stadt nicht ständig bewohnt und bebaut worden, wären mit
Sicherheit große Teile des heutigen Stadtgebiets als archäologische
Fundstätten abgeriegelt worden. Kaum wühlt man den Boden mit einer
Spitzhacke oder einem Pflug ein wenig auf, treten mittelalterliche Bögen
und Säulen oder Münzen
zutage. Im 19. Jahrhundert stellten zur Volkszählung abkommandierte Beamte
überrascht fest, daß eine Reihe von Bewohnern ihren Lebensunterhalt
offensichtlich dadurch bestritten, daß sie in den Ruinen des Forts von
Tughlaqabad Münzen ausgruben.
Über die Jahrhunderte hinweg waren Teile der bebauten Fläche wieder
Landwirtschaftlicher Nutzung zugeführt worden, bevor eine erneute
Urbanisierung einsetzte. Die Namen dieser Siedlungen sind heute teils
vergessen. teils verunstaltet oder absichtlich geändert: Aus der
Mongolenstadt Mongolpuri wurde Mangalpuri – „Stadt des Glücks‘‘, das nach
einem britischen Beamten benannte Youngpura wurde zu Jangpura -,, Stadt
der großen Schlacht‘‘. Dennoch haben viele die Jahrhunderte überdauert.
Eines der 14 Dörfer, das Kaiser Feroze Shah Tughlaq im 14. Jahrhundert
erwarb, um seine Zitadelle zu bauen, war Hastinapur, dessen Geschichte bis
auf das Mahabharata-Epos zurückgeht. Das ebenfalls epische Ursprünge
aufweisende Dorf Indraprastha fand sich in den Steuerbüchern verewigt.
Auf dem durch die Stadt verlaufenden Höhenzug fand man Werkzeuge aus dem
Paläolithikum, in den Ebenen weiter nördlich Tonwaren aus der
Harappa-Kultur. Kaiser Ashoka setzte im 3. Jahrhundert v. Chr. durch ein
Edikt auf einem Felsvorsprung im Süden Delhis ein Zeichen seiner Präsenz.
Eine bemerkenswerte eiserne Säule aus dem 4. Jahrhundert, deren Ursprung
bis heute Rätsel aufgibt, steht in einer Moschee des 12. Jahrhunderts. Die
Namen verschiedener Orte erinnern daran, daß hier früher einmal
unabhängige Siedlungen oder Vorstädte waren (Pur bedeutet Stadt, kot Fort,
abada Stadt, Serai Marktstadt). Im Volksglauben gilt Delhi als die Ewige
Hauptstadt, wie Varanasi (Benares) als die Heilige Stadt betrachtet wird.
Macht und Ruhm, erbarmungslose Raubzüge und die Narben des Unheils sind
hier zu einer faszinierenden Struktur verwoben.
Ab dem 12. Jahrhundert nimmt das Bild der Ewigen Hauptstadt
dreidimensionale Gestalt an, als die verschiedenen Herrscherdynastien
Nordindiens Delhi ihren Stempel aufdrückten. Im Altertum und Mittelalter
ließ man sich in Südasien von natürlichen Grenzen nicht beirren, weshalb
Afghanistan zum Herrschaftgebiet vieler nordindischer Reiche zählte. Die
buddhistische und hinduistische Diaspora wurde noch durch die islamische
übertroffen, als Mohammed von Ghur aus Afghanistan sein Königreich
westlich bis nach Khurasan und östlich bis nach Indien ausdehnte. Von 10.
bis 13. jahrhundert wurden Südindien und Teile Südostasiens von den
mächtigen Cholas beherrscht. Im Norden regierten die Chauhan-Rajputen in
Delhi, bis 1192 die plündernden Heere von Mohammed Ghuri aus Raja
Prithviraj einfielen. Mit reicher Beute kehrte der Eroberer in seine
Heimat zurück und überließ das neugewonnene Territorium seinem Statthalter
Qutb-ud–din Aibak. Die von ihm errichtete Siegessäule Qutb Minar gilt als
herausragendes Monument der Stadt.
Qutb-ud-dins Regentschaft begründete das Sultanat von Delhi. Mit den
aufeinanderfolgenden Dynastien (früher auch Sklavenkönige genannt), der
Khiljis, Tughlaqs, Sayyids und Lodis bestimmte es die Geschicke der
Region, bis 1526 die Moguln
unter Babur ihren Einzug heilten. Wie bei anderen indischen Staaten waren
die Grenzen das Sultanats fließend und erreichten auf dem Höhepunkt der
Macht sogar Bengalen und den Tamilenstaat. Der Aufstieg des Königreichs
von Vijayanagara in Südindien Mitte des 14. Jahrhundert setzte dem
Expansionsdrang jedoch ein Ende.
Delhi besitzt alles andere als eine beschauliche Vergangenheit. Seine
Geschichte ist so kontrastreich wie sein Klima, das vom kalten Winter in
den farbenprächtigen Frühling übergeht, gefolgt von langen Monaten
flirrender Hitze, die nur von wütend heulenden Windstürmen durchbrochen
werden und schließlich in sintflutartigen Regenfällen enden. Es gab in
Delhi stets frühlingshafte Zeiten voller Lebenslust, angefüllt mit
Gelächter, Dichtkunst und leuchtenden Farben, die von den plündernden
Heeren der Moguln, Perser, Marathen und Briten abrupt beendet wurden. Auf
die Jahre der Trostlosigkeit folgte jedoch stets ein Wiederaufblühen,
sobald sich die Karawanen oder die stampfende Eisenhahn wieder in Bewegung
setzten, die Verschläge von den Geschäften entfernt wurden und die
Menschen hinaus auf die Straßen strömten. Viele mußten ihr Leben lassen,
und so manches ging verloren – wertvolle Büchersammlungen, Elemente eines
kultivierten Lebensstils, elegante Bauwerke. Von den heutigen Bewohnern
Delhis sind nur noch wenige Familien seit mehr als drei Generationen in
der Stadt verwurzelt. Ungeachtet seiner wechselvollen Geschichte konnten
sich in Delhi jedoch viele Dinge von dauerhaftem Wert festigen. Menschen
aus verschiedenen Teilen Indiens, Zentral- und Westasiens haben durch ihr
Zusammenleben für die Entstehung einer kosmopolitischen Kultur gesorgt.
Die kurze Regentschaft vieler Herrscher läßt auf einen ebenso kurzlebigen
Ruhm schließen, weshalb sich viele in eine fieberhafte Bautätigkeit
stürzten, damit zumindest ihre Werke die Zeit überdauern. Der
Architekturstil der Sultanats-zeit ist eine gelungene Synthese aus
einheimischer Handwerkskunst, persischen Plänen und neuen Bautechniken. Ob
es sich um Befestigungsanlagen, Bewässerungssysteme für die Gärten oder um
Moscheen und Mausoleen handelte, stets verstand man es, Eleganz und
Beständigkeit in einer Weise zu verbinden, die heutige Architekten vor
Neid erblassen läßt.
Die ll-baris konzentrierten sich mit ihrer Bautätigkeit auf Rai Pithora am
südlichen Gebirgszug, die Khiljis auf Siri in den nördlichen Ebenen,
während die Tughlaqs Jahanpanah bei Siri, Ferozabad ein Stück weiter
nördlich am Fluß und das wuchtige Fort von Tug-hlaqabad als
Verteidigungsposten im Osten errichteten. Die Sayyids und Lodis
hinterließen keine Befestigungsanlagen, dafür aber viele wurdervolle
Mausoleen und Moscheen. Anfang des 14. Jahrhunderts suchten zahlreiche
Künstler und Handwerker aus Westasien Zuflucht in Delhi, nachdem die
Mongolen die türkischen Seldschuken besiegt hatten. Doch einige Jahrzehnte
später beraubte der mongolische Plünderer Timur auch Delhi seines
Reichtums und seiner Handwerker, da er in Samarkand eine unvergleichliche
Moschee errichten wollte und alle Baumeister und Steinmetze in seinen
Dienst zwang.
Weitaus beschaulicher lebten die Glaubensmänner in der Nähe der
Hauptstadt, die eine große Zahl von Anhängern um sich scharten. Roshan
Chriagh-e-Delhi und Hazrat Nizamuddin waren formme Männer im 14.
Jahrhundert, nach denen Orte in Delhi benannt sind. Der Schrein von
Bakhtiyar Kaki in Mehrauli zieht ebenfalls viele Gläubige an. Zahlreiche
Stätten in Delhi sind sowohl den Hindus als auch Moslems heilig, da sich
ihr Mystizismus stark am Eklektizismus der Sufis orientiert. Durch die
westasiatische Verbindung vermischten sich Arabisch, Türkisch und Persisch
allmählich mit den indischen Sprachen, so daß Amir Khusrau (1253-1325),
einer der ersten persischen Dichter in Delhi, keinerlei Mühe hatte, auch
in Hindawi, dem frühen Hindi, zu schreiben.
Der mongolische Eroberer Timur war von den prachtvollen Bauten Delhis
begeistert. Anders sein Nachfolger Babur, der erste Kaiser der
Mogul-Dynastie. Er empfand die Landschaft und Städte Hindustans als ,,
äußerst häßlich‘‘, die Bevölkerungsdichte und den Verfall der Städte hielt
er für unerträglich. Während seiner kurzen Regentschaft und der seiner
Nachfolger fungierten Delhi und Agra abwechselnd als Hauptstadt.
Im 16. Jahrhundert löste sich das Schicksal Delhis von den
Herrscherdynastien. Die bei den großen Moguln Akbar und Jahangir wußten
mit Delhi nichts anzufangen. Zusammen mit Lahore, Agra und Patna war es
jedoch zu einem der wichtigsten Handelsplätze Nordindiens aufgestiegen.
Unterstrichen wurde diese Stellung noch durch den selbsternannten
Herrscher Sher Shah Suri, den Rivalen von Kaiser Humayun. Er baute die
über Delhi und Agra verlaufende Verbindungsstraße von Lahore nach
Sonargaon in Bengalen, die sogenannte Grand Trunk Road.Delhi entwickelte
sich zu einer geschäftigen Stadt mit vielen Märkten und zahlreichen
Handwerkern, für die der Mogul-Hof ein wichtiger Auftraggeber war. Im
Umkreis Lagen kleine Marktflecken, deren Namen bis heute in Orten wie
Yusuf Sarai, Sheikh Sarai und Badli Sarai weiterbestehen.
Die Bewohner von Delhi standen vorwiegend im Dienst des Hofes und der
Adligen und hatten sich um Parkanlagen, Kanäle, Moscheen und Schulen zu
kümmern. Nebenbei entwickelte sich die Mischsprache Urdu, ursprünglich
eine Art Esperanto zur Verständigung der Soldaten untereinander. Sie
verbindet Elemente westasiatischer Sprachen mit Hindi und Sanskrit und
hielt sogar Einzug in die Poesie. Die Dichter des 17., 18. und 19.
Jahrhunderts in Delhi (Mir, Sauda, Zauq, Ghalib), die sich einen
friedlichen Wettstreit mit den Dichtern von Lucknow lieferten, gelangten
einzeln und als ,,Schule‘‘ zu Ruhm.
Die Moguln in Delhi stürzten sich noch größere Bauvorhaben als die
türkisch-afghanischen Sultane vor ihnen. Baburs Sohn Humayun ließ das
gewaltige Fort Din-Panah (das heutige Purana Qila oder Alte Fort) am
Flußufer erbauen. Sher Shah Suri brachte seine Rivalität mit Humayun zum
Ausdruck, indem er direkt gegenüber und nur durch eine Wasserstraße
getrennt eine wuchtige Befestigungsstadt errichtete. An Humayun selbst
erinnert eines der schönsten Mausoleen Indiens. Akbar, der Erbauer von
Fatehpur Sikri, verewigte sich in Delhi mit keinem einzigen Bauwerk, einem
seiner Minister ist allerdings ein Tempel in Kalka zu verdanken. Das
Mausoleum des Heerführers Abdur Rahim, der außerdem als begabter Dichter
und Übersetzer galt, zählt heute zu den wichtigsten Monumenten.
Wahrscheinlich wäre Delhi eine blühende Handelsstadt geblieben, umgeben
von fruchtbaren Feldern und übersät von monumentalen Ruinen, wäre da nicht
ein Mann namens Shahjahan auf den Plan getreten. Er wollte sich nicht
damit begnügen, Akbars Bauwerke in Agra zu ergänzen und beschloß, eine
riesige Zitadelle und eine großartige Moschee in Delhi zu errichten. Noch
heute pulsiert das Leben in Shahjahanabad, dessen Gebäude zum Großteil
über drei Jahrhunderte alt sind. Als Delhi im 18. Jahrhundert plötzlich
wieder zum Synonym für Souveränität und Reichtum wurde, setzten nach 300
Jahren relativen Friedens auch wieder Überfälle und Raubzüge ein. Der
persische Herrscher Nadir Shah hinterließ 1739 Verwüstungen, wie sie sonst
nur die regelmäßig über Delhi hereinbrechenden Heuschreckenschwärme
anrichteten. Die Erbeutung von Shahjahans sagenumwobenem
Pfauenthron war symptomatisch für den Niedergang der Moguln. Später
versuchten die kriegerischen Stammesführer aus Maharashtra, die Jats aus
den benachbarten Orten und die Briten von ihrer Basis in Bengalen aus, die
Stadt einzunehmen. Den Sieg trugen schließlich 1803 die Briten davon.
Delhi diente der East India Company bis zur Eroberung des Königreichs
Punjab fast ein halbes Jahrhundert lang als Grenzposten. Die
Mogul-Herrscher verkehrten mit den Vertretern der Kompanie auf
freundschaftlichem Fuß. Die einheimischen Künstler fertigten
Miniaturbilder für britische Kunden, es wurden
Wettschwimmen im Yamuna veranstaltet, die Städter kampierten während des
Monsuns in den Mangowäldern bei Qutub, die englischen Offiziere
entspannten sich bei Picknicks und Wildschweinjagden. Das Leben verlief in
völlig ruhigen Bahnen, bis am 11. Mai 1857 eine Gruppe indischer Soldaten
aus Meerut über die Bootsbrücke des Yamuna stürmte und den Kaiser drängte,
sie in einem Aufstand gegen die Briten anzuführen. Über vier Monate stand
das Schicksal Delhis auf der Kippe: Die Soldaten kontrollierten die
befestigte Stadt, die britischen Streitkräfte hielten den Höhenzug des
Northern Ridge. Im September 1857 stürmten sie die Stadt und vertrieben
die Bewohner, für die die Wucht des Vergeltungsschlags ebenso überraschend
kam wie die Verbannung des Kaisers nach Rangun. Die britischen Truppen
zogen in die Zitadelle ein, die fortan Red Fort (Rotes Fort) genannt
wurde.
Nichts konnte jedoch den Glanz des Mogul-Hofes wiederbringen. Die Durbars
von 1877, 1903 und 1911, kunstvolle Zeremonien, bei denen die indischen
Fürsten dem Vizekönig oder König-Kaiser ihre Ehrerbietung darbrachten,
waren lediglich ein blasser Abklatsch. Beim letzten Durbar verkündete
König Georg V., daß die Winterhauptstadt von Kalkutta nach Delhi verlegt
werde. (In den Sommermonaten pflegte gesamte Kolonialregierung mit allem
Drum und Dran in den kühleren Gebirgsort Shimla umzusiedeln.)
Shahjahanabad bot jedoch nicht genügend Platz für den Vizekönig und seine
Verwaltung. Nach Abwägung aller Möglichkeiten und Ortsbesichtigungen auf
dem Elefantenrücken beschloß man, New Delhi südlich von Shahjahanabad zu
errichten und die Ruinen der älteren Orte in die Stadtlandschaft
miteinzubeziehen. Die neue Stadt sich optisch über die anderen erheben,
indem man den Palast des Vizekönigs auf den Raisina Hill stellte. Das
Architektenteam arbeitete unter der kundigen Leitung von Lutyens, bekannt
durch seine englischen Landhäuser, und Baker, der die Regierungsgebäude in
Pretoria entworfen hatte.
Während der 20jährigen Bauzeit nach einem stark an Versailles und
Washington erinnernden Plan gewann die indische Nationalbewegung immer
mehr an Boden. Die bei öffentlichen Versammlungen vor dem Roten Fort
geschwungenen Reden waren in der weiträumigen und etwas kahlen Umgebung
des vizeköniglichen Palastes nicht zu hören. Als Mahatma Gandhi 1931 die
Stufen dieses herrlichen Gebäudes hinaufschritt, um Lord Irwin die Hand zu
reichen, konnte sich kaum jemand vorstellen, daß 20 Jahre später der
Präsident eines unabhängigen Indiens Lutyens’ größtes Landhaus bewohnen
würde.
Für Nordindien war die Unabhängigkeit gleichbedeutend mit Teilung. In der
Unsicherheit des Jahres 1947 siedelten viele Moslems von Delhi nach
Pakistan um, während zahlreiche Hindus und Sikhs aus dem West-Punjab in
die Stadt strömten. Sie bekamen westlich des Ridge und südlich von New
Delhi Land zugeteilt.
Viele bauten ihre Häuser aber auch auf die andere Flußseite und im Norden
der Stadt. Seitdem hat Delhi nie aufgehört, Menschen verschiedenster
Schichten anzuziehen: Arme, die zusammengepfercht in Slums leben, Reiche,
die sich palastartige Häuser errichten, Industrielle, die in der
Hauptstadt Fuß fassen möchten, junge Leute auf der Suche nach Arbeit.
Asphaltierte Straßen haben die Felder verdrängt, Hochhäuser aus Beton und
Glas stellen ältere Bauten in den Schatten. Doch der Qutb Minar beherrscht
nach wie vor die Skyline von Süddelhi und erinnert daran, daß Delhi
eigentlich eine sehr alte Stadt ist.
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EINE
BESONDERE ATMOSPHÄRE
Es gibt sieben Gründe, warum man Delhi lieben kann. Eine Stadt ohne
Geschichte hat keinen Charakter. Je alter sie ist, um so liebenswerter
wird sie. Was sind schon Städte wie Canberra und Kalkutta (kaum 300 Jahre
alt) im Vergleich zu Athen, Kairo, Bagdad, Rom. London oder Paris, die
über ein ehrwürdiges Alter und Persönlichkeit verfügen? Delhi gehört zu
den ältesten Städten der Welt. Nicht umsonst errichteten verschiedene
Herrscher hier ihre Forts, Paläste und Gebetsstätten, die die Jahrhunderte
überdauerten.
Wenn Sie das Glück haben, Delhi bei Tageslicht zu überfliegen (die meisten
internationalen Flüge landen und starten leider zwischen Mitternacht und
vier Uhr früh), können Sie die verschiedenen Städte Delhis aus der
Vogelperspektive betrachten. Heute sind sie alle in einer einzigen
Megametropole vereint, die von einem Ende bis zum anderen knapp 50
Kilometer durchmißt. Mühelos werden Sie den Qutb Minar, das Wahrzeichen
von Delhi, zwischen Tempelruinen ausmachen, die sehr viel älter sind als
er. Vielleicht erkennen Sie sogar die Überreste der Zinnen der alten
Siedlung. Östlich davon erstrecken sich die weitläufigen Ruinen von
Tughlaqabad aus dem 14. Jahrhundert, und ein paar Kilometer weiter der
Yamuna. Neben alten Forts, Palästen, Moscheen und Mausoleen, die sich aus
einem Wirrwarr von Basaren zu erheben scheinen, erblickt man moderne
Wolkenkratzer und Villen in riesigen Gärten. Innerhalb von nur zwei
Minuten bekommt man einen Panoramablick über die Geschichte Delhis –
einige Monumente gehen bis 300v. Chr. zurück, andere sind noch im Bau.
Es ist schön, unter Menschen zu leben, die sich ihrer Stadt verbunden
fühlen und stolz auf sie sind. Eine Stadt mit rastlosen Bürgern, die
keinen emotionalen Bezug zu ihr haben, ist nicht liebenswert. Sultan
Muhammed Tughlaq hatte eines Tages die schwatzhaften Delhiwalas in seiner
Umgebung so satt, daß er befahl, die Hauptstadt samt aller Einwohner nach
Daulatabad im Zentrum Indiens zu verlegen. Noch vor Ablauf eines Jahres
mußte er sein Anordnung zurücknehmen und kehrte beschämt nach Delhi
zurück. Der Dichter Abdullah Khan Ghalib, der die Übernahme der Stadt
durch die Briten erlebte, beschrieb sein Verhältnis zu Delhi
folgendermaßen:
lch fragte meine Seele, was ist Delhi? Die Welt ist der Körper, sagte sie
mir, und Delhi ist seine Seele.
Obwohl die Stadt Im Sommer 1947 bei der Teilung Indiens von Punjabis aus
Pakistan förmlich überschwemmt wurde und heute über die Hälfte der
Bewohner Delhiwalas der ersten Generation sind, sind auch sie voll des
Lobes für Delhi. Und das aus gutem Grund: Viele waren aus Pakistan mit
nicht viel mehr als dem, was sie auf dem Leib trugen, gekommen. Sie
nächtigten unter freiem Himmel auf dem Gehsteig. Delhi erwies sich als
ihre Lakshmi, die Göttin des Reichtums. Sie bekamen Land zugeteilt, bauten
Geschäfte auf übertrafen die alten Delhiwalas bald an Wohlstand. Mit ihrer
Lebensart prägten sie die Stadt nachhaltig und fühlten sich ihr
schließlich zutiefst verbunden. Dieses Gefühl ist allen Delhiwalas
gemeinsam und ein Grund, warum ich diese Stadt so sehr liebe.
Ein weiterer Grund ist die Tatsache, daß Delhi die grünste Hauptstadt der
Welt ist. Nirgendwo sonst findet man auf einem Quadratkilometer mehr und
verschiedenartigere Bäume. Zu jeder Jahreszeit steht irgendein Baum in
voller Blüte: Seidenwollbaum, Goldregen, Korallenbäume, Bettelpfeffer,
Jakaranda und Lagerstroemia. Zwichen Weihnachten und Ostern, wenn der
Himmel über Delhi tiefblau gefärbt und die Luft kühl und mild ist,
verwandeln sich die Parks in ein Meer von Farben. Der reiche Baumbestand
und die Nähe zum Fluß locken eine Viehlzahl von Vögeln an. Die Delhi Bird
Watching Society hat eine Liste von über 500 Arten erstellt, die hier zu
beobachten sind. Nur eine davon, die Elsterdrossel Dayal oder Shama. Kann
für sich in Anspruch nehmen, ein Singvogel zu sein. Alle anderen
zwitschern, schreien oder schnattern lediglich. Doch sind die so zahlreich
und allgegenwärtig, daß man auf Schritt und Tritt von ihnen umgeben ist,
selbst in den überfülltesten Basaren und auf Bahnsteigen. Die vielen
Papageien und Mynas, die sich in den Bäumen am Connaught Circus häuslich
niederlassen, machen einen derartigen Krach, daß sie fast den Straßenlärm
übertönen. Dem Krächzen der Raben und Schilpen der Spatzen kann man
nirgends entgehen, und den ganzen Sommer über ist durch das dichte
Laubwerk der Ruf der bartvögel und Koels zu hören.Delhi ist somit ein
wahres Paradies für Ornithologen. Das Leben in Delhi ist angenehm. Für so
betagte Einwohner wie mich kann es außerdem sehr billig sein, wenn man
schon lange in einer Wohnung lebt und daher niedrige Mieten zahlt.
Gleiches gilt für alle Staatsdiener, denen die Regierung möblierte
Unterkünfte zur Verfügung stellt, für die sie nicht einmal ein Zehntel des
Marktpreises hinblättern müssen. Da fast die Hälfte der Immobilien dem
Staat gehört, sind die meisten Menschen froh, ein Doch über dem Kopf zu
haben. Die exorbitanten Mieten, die man von Fremden verlangt, erwecken bei
diesen oft den Eindruck, sie seien unerwünscht. Die Fünfsterne-Hotels in
Delhi sind für die meisten Inder unerschwinglich, es sei denn, sie laufen
über die Spesenabrechnung. Doch kosten sie inzwischen manchmal mehr als
ein durchschnittliches Mittelklassehotel in Europa, Kanada oder den USA.
Daneben gibt es noch Dutzende billiger Hotels, Pensionen und
Privatunterkünfte. Somit genügt Delhi sowohl den Ansprüchen eines
Millionärs als auch denen eines Billigtouristen – auch das macht die Stadt
so sympathisch.
Amüsant ist die Tatsache, daß die Adresse sofort Aufschluß über
wirtschaftlichen und sozialen Status der Bewohner gibt. New Delhis
verschiedene nagars (Stadtgemeinden) unterteilen sich nach Einkommen und
gesellschaftlicher Hierarchie. Man beginnt in einem neecha (niedrigen)
nagar und klettert langsam bis zu einem ooncha (hohen) nagar hinauf – von
einem einfachen Zimmer über eine Zweizimmerwohnung bis hin zu einem
kleinen Häuschen mit winzigem Garten oder gar einem Herrschaftshaus mit
einem Hektar Grund. Falls Sie dann immer noch Zweifel über den sozialen
Status eines Delhiwala hegen. erkundigen Sie sich einfach taktvoll, ob er
Mitglied in irgendeinem Club ist und welchen Sport er ausübt. Ist der
Betreffende Mitglied im Golf-Club (ober Gplf spielt oder nicht), gehört er
eindeutig zur Elite. Gleiches gilt für den Reit- und Jagdclub. Dort
verkehren Diplomaten und andere ,,Woge‘‘ (Westernised Oriental Gentlemen),
die gemeinhin Koi hais genannt werden. Eine Spur niedriger wird der
Gymkhana eingestuft, einer der ältesten britischen Clubs mit Bars,
Ballsälen, Billard- und Kartentischen, einer guten Bibliothek, Tennis-und
Squash-Courts, einem Schwimmbad und einer Militärkapelle.
Es gibt zwar noch Dutzende andere Clubs, die jedoch in den Augen eines
Snobs keinen Pfifferling wert sind. Die einzige Ausnahme bildet das India
International Certre, das neben den hübschen Lodi-Gärten liegt. Dieser
noble Gesellschaftsclub für Delhis Intellektuelle verfügt über eine gut
sortierte Bibliothek und liefert den Rahmen für Konferenzen, Seminare,
Tanz- und Musikdarbietungen. Man muß jedoch nicht unbedingt Mitglied sein,
um an den Veranstaltungen teilzunehmen. Außerdem findet sich stets
irgendein. Langweiler, der Sie liebend gern zu einem Kaffee oder Tee
einlädt. Sofern Sie gewillt sind. Sich seine endlosen Geschichten über
seine Haustiere anzuhören.
Ein weiterer Pluspunkt von Delhi ist das Essen. In den wenigsten Städten
wird man für so wenig Geld so gut verköstigt. Wenn Sie Ihren Geldbeutel
unbedingt erleichtern möchten, können Sie auch ein Fünfsterne-Lokal mit
französischer, italienischer, chinesischer oder polynesischer Küche
aufsuchen. Für eine Flasche französischen, italienischen oder deutschen
Wein muß man hier das Zehnfache von dem hinblättern, was er im
Ursprungsland kostet. In Indien sollten Sie sich daher lieber an die
einheimische Küche halten. An jeder dhaba am Straßenrand bekommt man
dagegen genauso gute und vielleicht sogar schmackhaftere Speisen für einen
Spottpreis. Am billigsten und bekömmlichsten ist wohl die für hiesige
Verhältnisse eher zurückhaltend gewürzte südindische Küche.
Erfahrene Schmarotzer haben in Delhi ebenfalls ein leichtes Spiel. Hat man
einmal den Bogen raus, kann man jeden Tag mindestens ein schönes Essen mit
einem guten Glas Wein ergattern. Es gibt hier nämlich über 120
Botschaften, Kommissionen. Gesandtschaften und Konsulate sowie zahlreiche
UNO-Büros. Da Diplomaten stets bemüht sind, mit ihren lokalen Kontakten
anzugeben, ist es gar nicht so schwer, zu ihren Empfängen eingeladen zu
werden, man tut ihnen sogar einen Gefallen damit. Außerdem erwarten sie
keine Gegeneinladung. Wer gute Nerven hat, kann sogar ungeladen auf
Parties erscheinen, da nie Fragen gestellt werden. Außerdem fließt dort
Scotch in rauhen Mengen.
Delhi ist eine Stadt, in der man tiefe Wurzeln schlägt. Je länger man hier
lebt, desto schwerer wird es wegzugehen. Ähnlich muß es wohl dem einstigen
Hofdichter Shaikh Ibrahim Zauq ergangen sein: Obwohl er bettelarm war,
schlug er das verlockende Angebot eines Herrschers aus Hyderabad mit
folgenden Worten aus:
Ist auch die Liebe zur Dichtung voll erblüht im heutigen Hyderabad wie
könnte ich mich losreißen von diesen Straßen?
Wie könnte ich gehen und Delhi verlassen?
Natürlich gibt es auch unzählige Gründe, das Leben in dieser Stadt zu
hassen. Sie lassen sich auf einen einfachen Nenner bringen: Nichts
funktioniert hier, wie es soll. Metten in der Hitze des Sommers versiegen
die Wasserhähne, die Klimaanlagen streiken, das Licht geht ohne Vorwarnung
aus, die Telefonleitungen sind tot. Auch die Umweltverschmutzung
hinterläßt unübersehbare Spuren. Im Winter liegt morgens eine dichte
Smogglocke über der Stadt, Flüge haben Verspätung oder werden annulliert.
Der Verkehr ist chaotisch. Busse und Lastwagen spucken ihre Abgaswolken
aus, Dreiräder rattern wie Maschinengewehre, und jeder Fahrer scheint auf
die Hupe zu drücken – wir sind in der Tat ein äußerst lärmfreudiges Volk.
Aber man gewöhnt sich bald an den Krach, Schmutz und den Zusammenbruch
wichtiger Dienstleistungen. Und dann zieht Delhi Sie in seinen Bann.
Delhi besteht aus einer Ansammlung von Stadtörfern,
die alle ihre eigene Stammeskultur, ein gewisses
Zusammengehörigkeitsgefühl und bestimmte Riten für den Übergang von einer
Stufe in die andere besitzen. An der Spitze dieses Totempfahls steht die
diplomatische Enklave Chanakyapuri in Lutyens’ New Delhi, dicht gefolgt
vom eleganten Golf Links und Sundernagar im Süden. Angeblich sprechen Golf
Linkers nur mit Chanakyapurianern, die ihrerseits das Wort nur an Gott
oder einen Minister richten, wobei ersterer meist leichter zu erreichen
ist. Vielleicht erklärt dies, warum die überall sonst regierenden
elementaren Naturgesetze in Chanakyapuri einem strengen Protokoll
unterliegen. Moskitos dürfen die Bewohner beispielsweise nur nach
vorheriger Anmeldung stechen. Kein Wunder also, daß ein einheimisches
Sprichwort besagt:,,Es ist leichter, Blut aus einem Stein zu pressen als
aus einem Chanakyapurianer.‘‘
Eine philosophische Schule behauptet gar, hätte Newton in Chanakyapuri
gelebt, wäre kein Apfel so vermessen gewesen, ihm auf den Kopf zu fallen.
Somit wäre das Gesetz der Schwerkraft nicht entdeckt worden, und der Rest
der Welt könnte ebenso in den Wolken schweben wie Chanakyapuri.
Das Greater-Kailash-Imperium (GK) versuchte auf andere Weise
zurückzuschlagen. GK ist das natürliche Habitat jenes genetischen Mutanten,
der gemeinhin Maruti-Suzuki-Salonwagen genannt wird. Nachdem die
Kailashites ihre Bungalows und Villen gentreu im innovativen Stil der
Disneyland-Gotik und des Tandoori-Tudor errichtet hatten, lenkten sie ihre
schier unerschöpfliche Kreativität auf ihre Fortbewegungsmittel. Es ist
unglaublich, wieviel Schnickschnack in Form von kunstpelzbesetzten
Armaturenbrettern, Minibars mit Musik, aufklappbaren Fernsehgeräten und
Aufklebern wie ,,I’m risky after whisky‘‘ in ein Fahrzeug paßt, das in
Größe und Form an ein Matchbox-Auto erinnert. In der Gk-Ruhmeshalle sticht
besonders jener junge Mann hervor, der auf einen Swimmingpool in seinem
Maruti-Boot verzichten mußte, da der Sprungturm den Empfang der
Antennenschüssel auf dem Dach beeinträchtigte. Mit gebrochenem Herzen
erlaubte er seiner ersten Liebe, Harakiri zu begehen, und tröstete sich
mit einem guterhaltenen Volkswagen.
Derartiges wird von den Bewohnern des benachbarten Hauz Khas Village (HKV)
mißtrauisch beäugt. Das bevorzugte Fortbewegungsmittel ist dort ein
Designer-Ochsenwagen, der möglichst viel Designer-Staub aufwirbelt und
beim Über-fahren eines Designer-Schlaglochs dem Fahrer ordentlich das
Rückgrat staucht. Der unerhört ethnisch Charakter von HKV sticht dem
Besucher sofort ins Auge: ethnische Boutiquen, ethnische Lokale, ethnische
Gestalten und Preisschilder, die eher die indische Staatsverschuldung
widerzuspiegeln scheinen als den Wert der Ware. Aber das Land billig zu
verschleudern, wäre ethnisch-patriotisch wohl kaum zu vertreten.
Der gerissene Delhiwala wird daher zwar beim Shopping in Hauz Khas
gesehen, erledigt jedoch seine Einkäufe in Lajpat Nagar (LPN), Delhis
Sonderangebotsabteilung. LPNs raison d’etre ist ein riesiger Markt, die
Verkörperung des indischen Basars, wo man alles nur Erdenkliche kaufen
kann – von billigen Lebensmitteln bis hin zu Eiskübeln aus Plastik mit dem
Taj-Mahal-Motiv und einem Manneken Pis als kosmopolitische krönung.
Daß auch außerhalb von LPN noch Leben möglich ist, beweist die Existenz
der ,,colonies‘‘ –oder klonies, wie die Einheimischen sagen – auf der
anderen Seite des Yamuna in mehr als einer Hinsicht. Am äußersten Ende
liegt Noida, wie die New Okhla Industrial Development Area gerne genannt
wird. Vergleichbar mit der vierten Generation von Computerfreaks,
Diskjockeys und Flugansagespezialisten, gehören auch die Noidaner jener
besonderen Rasse an, die sich in völlig unverständlichen Lauten ausdrückt.
Wenn Noidaner beispielsweise ,,Noida‘‘ sagen, bemühen sie sich. es wie ,,Nevada‘‘
klingen zu lassen, was sich dann anhört wie ,,Neorrrda! ‘‘.Diese
Ansammlung von Knacklauten macht ihre Worte für jeden Normalsterblichen
absolut unverständlich außer für andere ,,Neorrrdans!‘‘, mit denen sie
natürlich nicht im Traum sprechen würden.
Old Delhi – die befestigte Stadt Shahjahanabad aus dem 17. Jahrhundert –
steht dagegen für das sofortige Vergessen, die fünfte Dimension des
Zeit-Raum-Kontinuums, aus der kein Reisender zurückkehrt. Es kursieren
Geschichten von hilflosen Entdeckern. Die sich in dei Wildnis von Chandni
Chowk vorwagten, um den Eingeborenen exotische Gewürze und Glasspangen zu
tauschen oder das legendäre Essen der Kebab-stände im Gassenlabyrinth um
die Jama Masjid zu kosten, und nie wieder gesehen wurden. Der vorsichtige
New Delhiwala vernimmt solche Geschichten mit einem leichten Schaudern und
hält sich wohlweislich vom ,,terror‘‘ incognito hinter dem Kashmiri Gate
fern.
,,Aber so schlimm kann es doch gar nicht sein‘‘, versuchte ich einmal
einen New delhiwala zu überzeuge. ,,Schließlich lebte Shahjahan auch hier,
oder?‘‘ ,,Das schon‘‘, meinte der andere düster, ,, und was hatte er
davon? Er ist vor 300 Jahren gestorben!‘‘
Doch selbst der Sensenmann könnte seine Schwierigkeiten, haben, sich in
der Hauptstadt zurechtzufinden. Lutyens’ Nachfolger taten ihr Bestes, um
die Einwohner vor Heimsuchungen aller Art zu schützen. Der Stadtplan
trotzt allen langweiligen Regeln arithmetischer oder alphabetischer
Ordnung und zeugt stattdessen von der Macht des multilateralen Denkens. Je
begehrter die Siedlung, desto geheimmisvoller die Straßennummerierung, was
dazu führt, daß diejenigen, die in den schicksten Vierteln wohnen, häufig
Gefahr laufen, selbst am wenigsten zu wissen, wo sie sind. Wenn Sie in
Delhi also jemand fragt, wo Sie wohnen, und Sie gestehen, daß Sie nicht
die leiseste Ahnung haben, werden er und Sie vermuten, daß Sie frisch
angekommen sind – obwohl keiner von Ihnen beiden weiß wo.
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mit Fahrer (Chauffeur) ab Delhi
DER NÖRDLICHE HÖHENZUG
Der sich in Delhi über dem Yamuna erhebende Höhenzug ist der nördliche
Ausläufer einer der ältesten Gebirgsketten der Welt: Geologen zufolge
stammen die sogenannten Aravalli-Berge aus dem Präkambrium und sind etwa
1500 Millionen Jahre alt. Sie ziehen sich von Delhi bis in die Nähe von
Ahmedabad in Gujarat, ihre Gipfel erreichen im Süden bei Mount Abu in
Rajasthan eine Höhe von über 1800 Metern.
Mit Ausnahme der Bäume und des großen Hindu-Rao-Krankenhauses wurde der
Höhenzug größtenteils in seinem ursprünglichen Zustand belassen. Aufgrund
der Kampfhandlungen während des indischen Aufstands 1857 war die
Hügellandschaft für die Briten mehr oder weniger heilig. Heute ist sie ein
angenehm kühler Erholunsgort mit Reit- und Wanderwegen, lieblichen Tälern
und Seen, wo sich Affen, Pfauen, Mungos und alle Vogelarten Delhis
tummeln.
Nur wenigen Besuchern ist der nördliche Höhenzug (Northern Ridge) ein
Begriff. Wer sich jedoch für die britische Geschichte Indiens
interessiert, sollte diesen Ort, der außerdem auch moslemische Relikte
früherer Sultanate aufweist, auf jeden Fall aufsuchen. Von Norden nach
Süden sind dort die folgenden Monumente zu finden. Das Mutiny Memorial
(auch Ajit Garh oder Siegesturm genannt) wurde 1862 von der britischen
Armee zum Gedenken an die Toten des Sepoy-Aufstandes von 1857 errichtet.
Eine kleine Truppe der regierenden East India Company hatte auf dem damals
noch baumlosen Gebirgszug von Juni bis September 1857 nach dem Ausbruch
der Revolte im Mai ausgehalten. Ausgegangen war die heute von den Indern
gerne als erster Unabhängigkeitskrieg gewertete Meuterei von den indischen
Soldaten der britischen Bengalen-Armee in Meerut, einer großen
Garnisonsstadt 77 Kilometer von Delhi entfernt. Obwohl der eigentliche
Anlaß örtlich begrenzt war, griff die Revolte rasch auf die mit der
britischen Herrschaft unzufriedene Bengalen-Armee über.
Rassendiskriminierung und mangelnde Sensibilität für die Gefühle der Inder
taten ein übriges. Wenngleich die Inder von der Richtigkeit ihrer eigenen
Lebensweise überzeugt waren und sie den Veränderungsdrang der Briten
mißbilligten, beteiligten sich die meisten nicht am Aufstand und
unterstützten sogar aktiv die Regierung.
Die auf beiden Seiten hochschlagenden Emotionen ließen die Kämpfe in
grausame Brutalität ausarten. Das Blutvergießen begann am 10. Mai und
griff am folgenden Tag auf Delhi über. Innerhalb kürzester Zeit war der
britischen Herrschaft zwischen Delhi und Allahabad, nur etwa 640 Kilometer
von der damaligen Hauptstadt Kalkutta entfernt, die Grundlage entzogen. Im
Juni begann die Rückeroberung, als aus dem Punjab britische Streitkräfte
zur Verstärkung eintrafen. Knapp die Hälfte der 3000 Soldaten waren Inder.
Ungeachtet der Hitze und des einsetzenden Monsunregens harrten die
Streitkräfte bis September auf dem Ridge aus (zu diesem Zeitpunkt belief
sich ihre Stärke auf 10 000 Mann). Nicht nur die Angriffe der meuternden
Truppen machten ihnen zu schaffen, sondern auch Cholera, Hitzschlag und
Malaria. Der britische Oberbefehlshaber und sein Nachfolger wurden im
Abstand weniger Wochen von der Cholera dahingerafft. Mitte September wurde
die Stadt schließlich über das Kashmiri Gate gestürmt – eine taktisch
kluge Entscheidung, da der Fluß eine geschützte linke Flanke bot. Nur
befanden sich unglücklicherweise unmittelbar dahinter die Lager der
Weinhändler, was den Angreifern nicht lange verborgen blieb. So war es mit
der Disziplin bald vorbei.
Der britische Befehlshaber, Brigadegeneral John Nicholson, wurde gleich zu
Beginn tödlich verwundet. Erst nach einer Woche anhaltender Straßenkämpfe
konnte die Stadt erobert werden. Obwohl nun kein Zweifel mehr am Ausgang
der Revolte bestand, zogen sich die Kampfhandlungen in Nord- und
Zentralindien noch weitere zwölf Monate hin. Am 1.September 1858 ging die
Regierungsgewalt von der East India Company auf das britische Parlament
über.
Das Mutiny Memorial auf der Hügelkette markiert die britische
Gefechtslinie während der Monate vor dem Angriff. Das im Stil der
viktorianischen Gotik erbaute Denkmal ist zwar kein architektonisches
Schmuckstück, doch die Behauptung, es sei an das Albert Memorial im Hyde
Park in London angelehnt, entbehrt jeder Grundlage, da letzteres über zehn
Jahre später entstand. Auf Gedenktafeln sind die einzelnen Regimenter der
Delhi Field Force, die Gefechte, die Namen der 46 im Kampf gefallenen
Offiziere sowie die Zahlen der getöteten und verwundeten Soldaten
aufgelistet.
Etwa 200 Meter nördlich des Mutiny Memorial stehen an der Straße die ca.
3,5 Meter hohen Überreste einer von zwei Ashoka-Säulen aus dem 3.
vorchristlichen Jahrhundert, die Sultan Feroze Shah Tughlaq im 14.
Jahrhundert in seinen Palästen aufstellen ließ. Diese Ediktsäule ist das
älteste bekannte Artefakt auf Delhis Northern Ridge. Neben Shahjahan und
Lutyens zählt Sultan Feroze Shah zu den drei großen Architekten von Delhi.
Für die damalige Zeit war der Sultan ein äußerst ungewöhnlicher Herrscher:
Der passionierte Altertumskenner schätzte neben islamischen auch
hinduistische und buddhistische Errungenschaften. Er ließ den Qutb Minar
ebenso instand setzen wie den kreisförmigen Hindu-See Suraj Kund im Süden
Delhis.
Die Ashoka-Säule ist zwar Fragment, doch zeigt sie ein Beispiel der
Ashoka-Brahmi-Schrift aus dem 3.Jahrhundert, einer Vorläuferin der
heutigen Devanagiri-Hindi-Schrift. Eine Tafel am Sockel erklärt die
Herkunft der Säule. Gegenüber befindet sich das Hindu-Rao-Krankenhaus. Das
ursprüngliche Gebäude, von dem noch ein Teil erhalten ist, wurde
wahrscheinlich um 1820 für einen Briten am Mogul-Hof errichtet. Später
erwarb es der adelige Marathe Hindu Rao. Während des Sepoy-Aufstands wurde
es vom Sirmoor Battalion of Gurkhas besetzt. Nach Beendigung der
Kampfhandlungen diente es zunächst als Militärkrankenhaus, dann als
allgemeines Krankenhaus.
Die Anlage umschließt einen Teil des Palasts von Sultan Feroze Shah
Tughlaq aus dem 14. Jahrhundert, den Pir Ghaib. Während der Revolte wurde
er als Wachturm genutzt. Auf dem Dach befindet sich eine kleine runde
Sandsteinplatte mit einem Loch für das Senkblei eines Instruments, mit
dessen Hilfe die Briten um 1830 erstmals ihre neuen Besitztümer genau
vermaßen und auf einer Landkarte verzeichneten. Ein Stück weiter die
Straße entlang steht die Charbuja Masjid (Moschee der vier Türme), die
ebenfalls unter Feroze Shah errichtet wurde. Ungewöhnlich ist, daß sich
die Moschee nicht im Erdgeschoß, sondern im oberen Stockwerk befindet.
Fahnenturm: Auf dem Wanderweg Richtung Norden, vorbei am Seismologischen
Institut, gelangt man zum Fahnenturm in der Mitte der Straße. Während des
Aufstandes sammelten sich hier die Europäer nach den ersten Angriffen,
bevor sie weiter nach Ambala und Meerut zogen. Bis heute konnte der
Ursprung des Turms nicht mit Sicherheit geklärt werden. Man glaubt, er sei
Teil eines Militärquartiers gewesen, das vor dem Ausbruch der Revolte auf
der Westseite des Höhenzugs lag.
Der Wanderweg links den Berg hinunter führt zum Büro des Vizekanzlers in
der Universität von Delhi. Während des Besuchs von König Georg V. 1911
wurde hier das königliche Lager aufgeschlagen. 1912 entstand das heutige
Gebäude als vorübergehende Residenz des Vizekönigs, bis die Hauptstadt
komplett von Kalkutta nach New Delhi verlegt war. Im Vergleich zu dem
späteren großartigen Palast in der Stadt nahm es sich eher bescheiden aus.
Allein der Marmorboden in einigen Räumen erinnert noch an seine einstige
Pracht.
Krönungsdurbar: Einige Meilen nordwestlich fand im Dezember 1911 das wohl
prachtvollste Schauspiel der gesamten britischen Herrschaft statt – der
Krönungsdurbar, zu dem König Georg V. die Fürsten und das ganze indische
Volk einlud. Von zwei großen, halbkreisförmigen Erhebungen aus konnten die
Zuschauer die Zeremonie beobachten. Für den kunstvollen Festzug waren
eigens Herolde ausgebildet worden. Während der Feierlichkeiten ergriff der
König völlig unerwartet das Wort und machte eine historische
Ankündigung:,, Wir haben das Vergnügen, unserem Volk zu verkünden, daß wir
auf Anraten unserer Minister und nach Rücksprache mit unserem
Generalgouverneur die Verlegung des Regierungssitzes von Kalkutta in die
ehemalige indische Hauptstadt beschlossen haben.“
In dem riesigen Amphitheater konnten zwar nicht viele den genauen Wortlaut
verstehen, doch die Neuigkeit breitete sich in Windeseile aus. Je nach
Gesinnung löste sie Freude bei den einen. Unmut bei den anderen aus. Als
königlicher Erlaß entzog sich diese Wahl jeglicher politischen
Argumentation, doch viele geben zu bedenken, daß Delhi als ,,Friedhof der
Dynastien“ verschrieen sei. Andere prophezeiten, daß es mit Bengalen als
Machtzentrum nun zu Ende gehen würde. Beides erwies sich als richtig: Von
der offiziellen Einweihung der Stadt 1931 bis zur Unabhängigkeit bestand
British New Delhi lediglich 16 Jahre, während Kalkuttas einst bedeutender
Einfluß auf die indische Regierung völlig dahinschwand.
Zur Beschwichtigung der Bengalen wurde verkündet, daß die seit 1905
bestehende Teilung ihrer Heimat aufgehoben werden sollte (was jedoch nicht
verhinderte, daß Bengalen 1947 erneut geteilt wurde). Später legte das
Königspaar die in aller die in aller Eile besorgten Grundsteine für die
neue Hauptstadt. Das Geheimnis der geplanten Verlegung war so streng
gehütet worden, daß man keine Stadtplaner oder Ingenieure bei der Wahl des
Standorts zu Rate gezogen hatte. Als 1912 das Expertenteam eintraf, wurde
der Durbar-Platz für ungeeignet befunden. Die Grundsteine wurden heimlich
wieder ausgegraben und schließlich in die Ostmauern der heutigen
Regierungsgebäude in New Delhi eingesetzt.
In den sechziger Jahren wurden die Statuen einiger britischer
Persönlichkeiten. die einst die Straßen von Delhi würdevoll überblickten,
in eine umfriedete Anlage am Durbar-Platz gebracht. Manche kamen jedoch
nie dort an, da sie unterwegs einfach ,,verlorengingen“. In anderen Teilen
Indiens akzeptierte man sie als Teil der Geschichte und beließ sie dort,
wo sie enthüllt worden waren.
Das eindrucksvollste Denkmal ist die Statue von König Georg V. aus dem
Jahr 1936, die sich einst majestätisch unter Lutyens’ steinernem Baldachin
am India Gate befand. Sie zeigt den König in seiner Krönungsrobe aus Samt
und Hermelin mit einer 3,5 Meter langen Schleppe, die er im Dezember 1911
getragen hatte. Das Werk stammt vom Bildhauer Charles Jagger, der auch die
Statue von Lord Hardinge, dem damaligen Generalgouverneur, anfertigte.
Zu dem illustren Kreis gehören außerdem die Statuen von Lord Irwin (dem
späteren Lord Halifax) und Lord Willingdon, für die beide Reid Dick
verantwortlich zeichnete. Bei der durch öffentliche Spenden finanzierten
Skulptur von Lord Irwin muß das Geld wohl knapp gewesen sein, da sie nicht
wie die anderen aus Marmor, sondern aus Kalkstein besteht, dem der Smog
von Delhi schlimm zugesetzt hat.
Die um 1935 entstandene vierte Statue ohne Inschrift stellt wahrscheinlich
Lord Chelmsford dar, der 1916 unversehens von seiner Einheit in den Simia
Hills, wo er Captain der Territorialarmee war, in den Palast des
Vizekönigs abkommandiert wurde. Der Bildhauer war M.S. Nagappa aus Madras.
Königin Viktoria, die in bronzener Erhabenheit fast 50 Jahre lang vor dem
Rathaus am Chandni Chowk thronte, wurde zunächst zusammen mit den anderen
Statuen hierhergebracht, jedoch aufgrund mutwilliger Beschädigungen in die
Kunstakademie gegenüber dem Obersten Gerichtshof überführt.
In der Mitte der Skulpturenarena erhebt sich eine polierte Granitsäule auf
einer hohen, mit Stufen versehenen Plinthe, um die Stelle zu markieren, an
der der Königsthron stand. Eine Bronzeplatte im echten Imperialstil
befindet sich erstaunlicherweise noch an ihrem Platz. Die Worte erinnern
an eine längst vergangene Zeit. Am 12. Dezember 1911 verkündete hier Seine
königliche Hoheit Georg V., Kaiser von Indien, bei einem feierlichen
Durbar den Gouverneuren, Fürsten und dem Volk von Indien in eigener Person
seine in England am 22. Juni 1911 vollzogene Krönung und nahm ihre
pflichtgetreue Huldigung und Ergebenheit entgegen.
Wer sich nicht besonders für die britische Periode in Indien interessiert,
wird den verwilderten Durbar-Platz mitsamt seiner Monumente wohl als
relativ bedeutungslos empfinden. Für andere da gegen ruft er Augenblicke
der indischen und britischen Geschichte wach, die längst der Vergangenheit
angehören.
Alt Delhi - Die Kreuzung des Mondlichts
Im Jahre 1648 wurde der Pfauenthron als Zeichen des offiziellen Umzugs der
Hauptstadt von Agra in Delhis Red Fort verlegt. Es ist gut möglich, daß
den untröstlichen Shah Jahan in Agra zuviel an seine geliebte Mumtaz Mahal
erinnerte und er deshalb umzog. Den historischen Aufzeichnungen zufolge
übte seine Tochter Jehanara, die er mit Mumtaz hatte, beträchtlichen
Einfluß auf ihn aus.
Jahanara entwarf die gerade Straße, die durch das Haupttor des Forts
verlief und an der Fatehpur Masjid endete. Sie war 21 Meter breit, durch
einen Wassergraben geteilt und hieß Chandni Chowk.
Heute liegt sie im dichtgedrängten Herzen von Old Delhi. Während sich
Motorroller und Fahrradrikschas auf der Straße um Parkgelegenheiten
rangeln, drängen sich Blumenverkäufer vor einem Tempel, und im nahen
Krankenhaus werden verletzte Vögel umsonst behandelt.
Verkäufer getrockneter Früchte, die aus so entfernten Ländern wie
Afghanistan kommen, sitzen umgeben von ihren Waren, wie es schon ihre
Väter und Urgroßväter taten.
Sich windende kleine Gassen, altes und neues Silber, der aromatische Duft
von frischgebackenem Parathas (ungesäuertem Brot), zum Verkauf stehende
Hochzeitskleidung wie goldene Turbane, lange glitzernde, goldene Gewänder
und Kränze aus Geldscheinen tragen zum Lokalkolorit bei.
Es werden Träume in dieser 400 Jahre alten Straße feilgeboten, die
wörtlich übersetzt ,,die Kreuzung des Mondlichts” heißt. |