Sportlich geschummelt
Ich war schon viele Male in Indien, manchmal mit einer Freundin, mit
meinem Mann, auch mit der ganzen Familie und manchmal auch allein.
Niemals habe ich mich irgendwie bedroht oder in Gefahr gefühlt. Als
alleinreisende Frau wurde ich immer mit Respekt behandelt.
Nur manchmal hatte ich das Gefühl, dass die Inder nicht so ganz
ehrlich sind. Hier und da wurden schon ein paar Rupies zuviel
abgerechnet oder zu wenig zurückgegeben – oder es war kein Wechselgeld
da, so dass ich automatisch „Stimmt so“ sagte, auch, wenn ich gar kein
Trinkgeld hatte geben wollen. Dann musste ich anschließend grollen und
kam mir ein wenig betrogen vor. Bis ich merkte, dass es nur sekundär
um das bisschen Geld ging – das eigentliche Motiv des Schummelns war
eher ein sportliches, weniger mit krimineller Energie als mit
Phantasie in Szene gesetzt. Besonders deutlich war das bei diesem
Erlebnis:
Ich besuchte das Fort Jaigarh in der Nähe von Jaipur. Gerade hatte ich
wieder eine Diskussion mit einem Taxifahrer verloren, der behauptet
hatte, vom Jaigarh bis zum Amber Fort, meinem nächsten Ziel, zu Fuß zu
gehen, sei viel zu weit...Von oben sah ich dann einen zauberhaften
Fußweg, wollte aber den Taxifahrer nicht warten lassen.
Der Eintritt zum Fort kostete 125 rs. Ich reichte dem Mann an der
Kasse einen 500er Schein und bekam 25 rs zurück. Ich steckte sie ein,
stutzte und fragte erst dann: „Wie viel Geld habe ich Ihnen gegeben?“
Er antwortete tatsächlich „Fünfhundert.“ „Sie haben mir aber nur 25
zurückgegeben!“ Ohne zu zögern gab er mir drei Hundertrupiescheine.
Ich freute mich, weil man in Deutschland sein Retourgeld nie
reklamieren darf, wenn es bereits in der Geldbörse ist.
Ich durchwanderte das wunderbare Fort. Nach etwa einer Stunde stellte
sich ein diffuses Grummeln ein – irgendetwas stimmte nicht. Ich dachte
nach, schaute in mein Portemonnaie und siehe da: 50 rs fehlten! „Ach
so“, dachte ich, „er wollte mich um 50 rs beschummeln, die Hunderte
waren nur zur Ablenkung. Sehr guter Trick! Das Geld hat er verdient!“
Trotzdem beschloss ich, ihm mitzuteilen, dass ich es bemerkt hatte.
(Das Geld zurückzubekommen, kam mir gar nicht in den Sinn.)
Ich fand den Mann mit seinen Kollegen im Schatten sitzend und sagte
ihm: „Das war ein guter Trick“. Wortlos – und nicht unfreundlich –
griff er in seine Tasche und gab mir 50 rs. Guter Verlierer! In Indien
kann ich viel lernen.
Angelika Rohwetter |