KULTURELLE
SYNTHESE in der indischen Geschichte
Unerschrockene Reisende und frühe
Kaufleute waren die ersten, die die Kunde von Indiens
sagenhaftem Reichtum in das entfernte Europa und nach
Fernost trugen. Auch buddhistische Pilger und Gelehrte
aus Ost und West machten sich vor 2000 Jahren zum
indischen Subkontinent auf, um die sanfte Philosophie
von Buddha zu studieren und die heiligen Stätten zu
besuchen. Diese so grundverschiedenen Interessen für
Religion und Handel ließen das Bild eines Landes
entstehen, das reich an Nutzholz, Mineralien und
Edelsteinen war, dessen geschickte Handwerker die
feinsten Textilien, Juwelen und Artefakte schufen und in
dem es unzählige Gurus, Lehrer, Mathematiker und
Gelehrte, Einsiedeleien, Universitäten und glanzvolle
Städte gab.
Der Reiz dieser indischen Städte bewirkte, daß entlang
der indischen Küste und durch das Himalayagebirge
Handelsrouten eröffnet wurden. In der Frühzeit des
Christentums hatten arabische Kaufleute bereits Kontakte
zu Indien und dem Fernen Osten geknüpft, was durch regen
Gadanken – und Innovationsaustausch zu einer gewissen
Annäherung führte. Mit der Entstehung des Islam 700 n.
Chr. gewannen jedoch Machthunger und Eroberungsdrang die
Oberhand, von denen auch Spanien, Afrika, Mittel- und
Zentralasien, China und Java nicht verschont blieben.
Wieder einmal war Indien mit anderen Ländern durch das
subtile Netz der Gedanken des Islam sowie politische,
wirtschaftliche und soziologische Interessen verbunden.
Dies hatte eine Synthese aus technologischen Neuerungen
und kultureller Entwicklung Indiens zur Folge.
Die über viele Jahrhunderte hinweg blühende indo-islamische Kunst konnte unter
Beibehaltung ihres internationalen Grundtenors und mit Hilft hochbegabter
einheimischer Künstler eine für Indien einzigartige Variante hervorbringen. Die
größtenteils unbekanntenKünstler hatten das Potential natürlicher Ressourcen wie
Lehm, Holz, Stein und Metall ausgeschöpft und daraus sowohl monumentale Tempel
als auch Kinderspielzeug geschaffen. Der Islam stellte ihre Kunstfertigkeit und
Erfindungsgabe schließlich vor eine neue Herausforderung.
Gebetsstätten: Im Zentrum des islamischen Glaubens steht der gemeinsame
Gottesdienst, für den die neuen Siedler in Indien geeignete Gotteshäuser
benötigten. Es gibt drei Arten von Moscheen oder masjids: die Idgah für große
Versammlungen während des Id und zu religiösen Festen, die Freitagsmoschee Jama,
Juma oder Jami Masjid und der Gebetsteppich, auf dem sich Gläubigen fünfmal
täglich in Rachtung Mekka und Kaa’ba, der axis mundi der islamischen Kosmologie,
neigen. Da die Anbetung von Bildern im Islam verboten ist, war der kleine
Teppich ein hoch-geschätztes Element des religiösen Rituals, Die im Mittleren
Osten, Persien, Afghanistan und Indien entstehende Kunst des Teppichwebens
führte zu einer breitgefächerten Palette von Gebetsteppichen aus Wolle, Seide
und Baumwolle, die den Bedürfnissen von Plebejern und Patriziern gleichermaßen
gerecht wurden. Meist sind sie mit Borten und kalli-graphischen Zitaten aus dem
Koran verziert.
Eine Moschee besteht aus einem Innenhof mit umlaufenden Galerien und einem
großen, nach Mekka ausgerichteten Platz für das Gebet. Die nach Mekka weisende
Wand (qibla) zeichnet sich durch eine Gebetsnische (mihrab) aus, die mit Versen
aus dem Koran geschmückt ist. Die erste Moschee dieser Art in Indien war die
1192 erbaute Quwwat-ul-Islam (Macht des Islam), die Qutb-ud-din Aibak
zugeschrieben wird. Von ihm stammt auch der Qutb Minar neben der Moschee. Der
minar ist ein wesentliches Merkmal aller Moscheen, ein hoher Turm, von dem aus
der Muezzin die Gläubigen zum Gebet aufruft. Die Form reichte in der islamischen
Welt von einfachen viereckigen Türmen bis hin zu kunstvollen runden oder
vieleckigen Konstruktionen. Doch noch nie wurde ein derart atemberaubender Turm
wie der Qutb Minar in Indien erbaut.
Eine große Herausforderung für die geschickten indischen Handwerker war die
Errichtung einer Bogenhalle auf der qibla-Seite der Moschee. Das
Konstruktionsprinzip eines Bogens war eine technologische Neuerung die der Islam
nach Indien brachte. Zum ersten Mal war die Spannweite zwischen zwei Wänden oder
Pfeilern nicht auf einen einzigen Stein- oder Holzbalken beschränkt. Die weiten
Bogenöffnungen machten hohe, breite Eingänge und Fenster möglich, die die
Bauweise generell veränderten. Anfänglich zögerten die einheimischen Handwerker
noch und stützten die Bogenkonstruktion oft zusätzlich mit Balken und Trägern
oder füllten sie teilweise aus, so daß eine Mischung aus hinduistischem und
islamischem Baustil entstand. Mit der Zeit schwangen sich Bogen und
Kuppelgewölbe jedoch in luftige Höhen und überspannten weite Räume, um
lichtdurchflutete Bauwerke zu schaffen, die für die indoislamische Architektur
charakteristisch wurden. Das wachsende Selbstvertrauen der Künstler spiegelt
sich in späteren Bauten wider – wie in der von Akbar in Fatehpur Sikri
errichteten Moschee oder der Moti Masjid, die Aurangzeb im 17. Jahrhundert im
Roten Fort schuf. Perfekte Ausführung, dezente Dekoration, das indische
Lotus-Muster, Mosaike mit islamischer Kalligraphie sowie die harmonische
Symmetrie der Kuppeln und Bogen der Jama Masjid in Delhi zeichnen die
Moschee-Architektur in Indien als Könung jahrhundertelanger künstlerischer
Bemühungen aus.
Grabstätten von Heiligen und Herrschern: Ähnlich wie im Christentum glaubt man
auch im Islam an das Jüngste Gericht, das über die Seelen der Toten richtet und
sie ihren Taten entsprechend in den Himmel oder in dei Hölle schickt. In der
ganzen islamischen Welt werden die Toten in nach Mekka ausgerichteten Gräbern
bestattet, die manchmal mit einem niedrigen Grabstein versehen und nur vom
“Himmelszelt” bedeckt sind. Später wurde diese Metapher bei bedeutenden Gräbern
durch Stoffbaldachine und gemauerte Kuppeln versinnbildlicht. Grabstätten von
Heiligen und Dichtern wurden innerhalb der Moscheenkomplexe errichtet, um Pilger
anzuziehen. Bis heute sind diese dargahs oder Mausoleen erfüllt von andächtiger
Musik (qawwalis), Gebetsrezitationen und dem geschäftigen Treiben der Gläubigen.
Mit dem alljährlichen Urs und religiösen Festen wurde das Leben des jeweiligen
Heiligen gefeiert. Zu den wohl wichtigsten islamischen Pilgerzentren in Indien
zählen das Grabmal von Hazrat Nizamud-din aus dem 13. Jahrhundert in Delhi, von
Shaikh Salim Chisti in Fatehpur Sikri und Khwaja Moinuddin Chisti in Ajmer.
Ähnlich verhielt es sich mit den Königsgräbern, die sich von einfachen
quadratischen Kuppelstrukturen zu Bauwerken beeindrukkenden Ausmaßes
entwickelten. Das erhöhte Grab befand sich in einem leeren Raum, in dem das
ganze Jahr über Andachtsmusik erklang und Verse aus dem Koran zitiert wurden.
Oft war es jedoch leer und der Leichnam des Königs in einer streng bewachten
unterirdischen Kammer untergebracht, um ihn vor Grabschändern zu schützen. Das
Mausoleum befand sich meist inmitten eines Parks und war oft von einer Mauer
umgeben, um den Zutritt auf Familienmitglieder und Freunde zu beschränken. An
der Westseite wurde häufig eine Gebetmoschee errichtet, ergänzt durch ein
zusätzliches Gebäude an der Ostseite, um die Symmetrie der Anlage zu wahren. Der
Park mit seinen süß duftenden Blumen, immergrünen Bäumen, sanft zwitschernden
Vögeln und dem Gluckern des lebensspendenden Wassers war eine poetische Metapher
für das Paradies.
Dieses Thema wiederholt sich mit Blumenmotiven in den architektonischen
Ornamenten, Stoffen und Teppichen der islamischen Welt jener Zeit. Der
ursprünglich quadratische Grabmalsgrundriß nahm später eine achteckige Form an,
wie im Taj Mahal und im Grabmal von Humayun zu sehen ist. Darüber wölbte sich
meist eine Kuppel, mit Ausnahme des Grabmals von Akbar in Sikandara und von
Itimad-ud-Daulah in Agra. Akbar bevorzugte den hinduistischen Stil mit reich
verzierten Pfeilern, auf denen flache Dächer ruhten, mit Steinbalken,
überhängenden Dachvorsprüngen und Trägern, wie bei seinem Panch Mahal in
Fatehpur Sikri zu erkennen ist. Durch offene Hallen, die auf mehreren Ebenen von
Pfeilern gestützt werden, wirkt das Bauwerk leicht und anmutig. Für Paläste und
Grabmäler wurde mit Gips überzogener Bruchstein verwendet, und die Stukkaturen
waren bemalt oder mit Keramikfliesen verziert.
Vom 13. bis zum 15. jahrhundert verwendeten die Künstler für die islamischen
Bauten in Delhi bunte Fliesen, um Eingänge und Bögen getreu dem künstlerischen
Erbe aus dem Mittleren Osten mit Zierleisten und Tafeln zu schmücken. Der
indische rosa Sand-stein und weißer Marmor sorgten für reizvolle Kontraste an
den Fassaden. Geometrische Ornamente wie Quadrate, Kreise und
ineinendergreifende Formen existierten neben Arabesken aus Kletterpflanzen,
Blumen und Bäumen, die Gemälden entsprungen zu sein scheinen. Mit der Zeit
wurden die Fliesenornamente durch verschiedenfarbige Bausteine ersetzt, die sich
zu einem charakteristischen Merkmal indo-islamischer Baukunst entwickeltern. Bei
den Grabstätten von Ghiyas-ud-din Tughlaq und Humayun wölbt sich eine Kuppel aus
weißem Marmor über dem mit rosafarbenem Sandstein gestalteten Hauptraum des
Gebäudes. Itimad-ud-Daulahs Grab in Agra und das Taj Mahal sind ganz in weißem
Marmor gehalten, was diesen Bauwerken eine völlig neue Dimension von
Schwerelosigkeit und Glanz verlieh. Geometrische Figuren aus farbigem Marmor und
Sandstein wurden zu kunstvollen Mustern zusammengefügt und in die Steinmauern
eingearbeitet. Akbars Enkel Shahjahan verwendete im Taj Mahal zwar Mosaiken,
reduzierte jedoch die dafür vorge-sehenen Flächen, da er die
Marmoreinlegear-beiten durch Edelsteine und Halbedelsteine ergänzte. So umfaßt
eine einzige Blume über 60 geschliffene Steine feinster Farbabstufungen, die
gemäldegleich die Blütenblätter und pollenbeladenen Staubfäden darstellen.
Aus historischen und politischen Gründen war das hinduistische Königshaus von
Rajputana vielleicht am stärksten von der Kultur der Moguln beeinflußt. Der
Glaube der Hindus an die Reinkarnation verneint die Notwendigkeit von Grabmälern.
Doch war es Tradition. die Stelle zu markieren, an der ein Krieger starb oder
verbrannt wurde. Deshalb errichteten die Rajputen chhatris oder hohe, offene
Pavillons mit Pfeilern und Kuppeln, um ihrer toten Helden zu gedenken.
In den Forts und Palästen von Delhi, Agra und jaipur kann man sich heute einen
flüchtigen Eindruck vom Lebensstil der Herrscher verschaffen. Das Konzept ihrer
befestigten Paläste entsprach den Grundprinzipin islamischer Architektur: Ob in
einem Haus, Palast oder Fort, öffentliche und private Bereiche waren stets
streng abgegrenzt. Die vor den Augen der Öffentlichkeit abgeschirmten
Pri-vatgemächer lagen relativ weit vom Eingang entfernt. Ähnlich dem Schleier
moslemischer Frauen trennten Steinmauern und Wandschirme die Lebensbereich der
Familie und des Harems ab. Die Gemächer waren nur spärlich möbliert und konnten
so für verschiedenste Zwecke genutzt werden. Der Reichtum des Besitzers
spiegelte sich in Wandbehängen, Teppichen, Polstern. Kissen, niedrigen
Bücherständern mit bebilderten Ausgaben des Korans sowie verschiedenen
Haushalts-gegenständen wider, die nach Lust und Laune verrückt werden konnten.
Heute sind die Paläste von Delhi, Agra und Jaipur leer. Nur durch eine genauere
Betrachtung von Miniaturmalereien aus der damaligen Zeit kann man sich
vorstellen, wie herrlich diese Bauten einst ausgestattet waren.
Da es in Delhi, Agra und Jaipur während der Sommermonate sengend heiß und
staubig ist, verwendete man dicke Steinmauern zur Isolierung sowie große Fenster
und Türen für einen ausreichenden Luftdurchzug. Filigrane Gitterschirme oder
jalis sorgten dafür, daß das starke Sonnenlicht gebrochen wurde und nicht mit
ungehinderter Kraft eindringen konnte. Stoff- und Grasmatten über den Eingängen
wurden zur Kühlung der Gemächer mit Duftwasser besprengt. Im Roten Fort in Delhi
sorgten Brunnen in Gebäuden Gärten für angenehme Frische.
Es gibt nicht viele Bauten innerhalb dieser Forts, da die an das Normadenleben
gewöhnten Moguln wenige feste Behausungen errichteten und statt dessen
farbenprächtige Zelte und Pavillons aufstellten, wo sie die kühlen,
duftgeschwängerten Sommerabende und warmen Wintertage genießen konnten.
Aufgrund ihrer Vorliebe für Farbe und Glanz schmückten sie Kleider üppig mit
Gold, Silber und Edelsteinen. Durch die Ver-wendung von Glas und Spiegeln, in
denen sich das Licht der Kerzen und Lampen fing. Glitzerten ihre Gemächer wie
ein von Sternen übersäter Nachthimmel. Dies gilt für die Sheehs Mahals im Roten
Fort von Delhi und Agra, aber auch für das Fort von Amber und viele andere
Paläste. Wasserkanäle, auf denen lris, Rosen und Narzissen schwammen, durchzogen
die Landschaftsgärten; um die Stimmungen des Himmels einzufangen. Die gesamte
Palastanlage sollte wie eine Oase der Ruhe und üppigen Pracht wirken.
Jenseits der Befestigungsmauern, des Grabens und der schützender Tore befanden
sich die Häuser der Adligen und des gemeinen Volkes sowie die Märkte. Handel und
Eroberung sowie die Sicherung wichtiger Handelsstraßen zu Lande und zu Wasser
brachten Reichtum und Wohlstand nach Agra, Delhi und Jaipur. In diesen Städten
ist immer noch ein Hauch der alten arabischen Karawan-sereien und Märkte zu
spüren. Wie in den souks von Damaskus waren Bereiche für den Verkauf bestimmter
Waren markiert, so daß die Karawanen der Kaufleute sofort ihren Markt ausfindig
machen, sich einen geeigneten Lagerplatz suchen und ihren Geschäften nachgehen
konnten. Ein Spaziergang durch diese geschäftigen Marktstraßen kommt heute noch
einer Reise in der Vergangenheit gleich.
Malerei und Kalligraphie: Die drei großen Städte Delhi, Agra und Jaipur zogen
zahlreiche Künstler und Gelehrte an, die um die Gunste der Kaiser und Höflinge
buhlten. Größter Wertschätzung erfreuten sich handgeschriebene Bücher,
insbesondere der Koran, die heilige Schrift des Islam. In der gesamten
islamischen Welt wurden in den Städten und Medresen (theologischen Schulen) über
Generationen hinweg Bücher handschriftlich kopiert. Die Kunts der Kalligraphie
kam zur vollen Blüte, als sich verschiedene Stilrichtungen entwickelten.
Arabesken und geometrische Muster umrahmten die Seiten und machten jades Buch zu
einem Kunstwerk. Bereits früher waren in Indien Manuskripte und heilige Texte
auf getrockneten, mit einer Schnur zusammengehaltenen Palmblättern
niedergeschrieben und mit minutiösen Zeichnungen von Menschen, Tieren und Bäumen
illustriert worden. Daher waren die indischen Künstler bereits daran gewöhnt, im
Miniatur-maßstab zu arbeiten, als im Mittelalter das Papier aus China eingeführt
wurde.
Der präislamische und islamische Stil unterschieden sich sowohl im Inhalt der
Illustrationen als auch in ihrer Ausführung. In der älteren Tradition wurden
Schriften der Hindus, Jainas und Buddhisten in klaren Primärfarben – Rot, Blau,
Gelb, Gold, Weiß und Schwarz – illustriert. Die Zeichnungen waren kühn,
stilisiert, abstrakt und von symbolischer Dichte. Die traditionelle Malerei aus
Persien war dagegen eine synthetisierte Kunstform, die mit detaillierten
Landschaftsdarstellungen, “chinesischen” Wolken, Vögeln und Tieren eher
naturalistische und lyrische Züge aufwies. Die Farben wurden gemischt, um
Schattierungen von Pink und Lila sowie weiche Grün-, Braun-und Blautöne zu
erzielen. Als diese beiden Traditionen in Indien aufeinandertrafen, entwickelten
sich breitgefächerte Stilrichtungen, von der persisch beeinflußten Malerei zur
Zeit Baburs und Humayuns bis zum kraftvollen, dramatischen Stil der frühen
Akbar-Periode. Handschriften wie das Akbarnama beinhalten Bilder, auf denen
Menschen dicht gedrängt verschiedensten Beschäftigungen nachgehen. Die Farben
sind lebhaft, und jeder Quadratzentimeter enthält unglaubliche Details von
Stoffen, Wanddekorationen, Juwelen, Tieren, Vögeln und Bäumen.
In der hinduistischen Tradition dienten Landschaften und architektonische
Details nur als Hintergrund für Menschen. Obwohl den Künstlern die Regeln der
perspektivischen Darstellung wohlbekannt waren, wandten sie diese nur selten an.
Sie konzentrierten sich auf die Personen. Zum Auftragen der aus pflanzlichen und
mineralischen Stoffen gewonnenen und mit einem Bindemittel vermischten Farben
benutzten sie Pinsel aus Kamel-, Eichhörnchen- oder Menschenhaar. Die Behandlung
des saugfähigen Papiers vor dem Farbauftrag und das Polieren mit einem glatten
Stein hinterher gehörten ebenfalls zu diesem Prozeß.
Die Mogulfürsten unterhielten große Ateliers, in denen mehrere Künstler an
Malereien und Handschriften arbeiteten. Das königliche Tagebuch Nama wurde von
jedem Herrscher geführt und von seinen Erben wieder abgeschrieben. Das Baburnama,
Akbarnama und andere Tagebücher stellten regelrechte Schätze dar, deren
Vollendung Jahre dauerte. Die Themen der Mogul-Malerei reichten von
Illustrationen aus dem Leben des Herrschers bis hin zur Darstellung von
Alltagssituationen.
Babur soll besonderen Wert auf die Abbildung von Tieren und Pflanzen gelegt
haben, die er in Indien zum ersten Mal gesehen hatte – Bananenbäume, Elefanten,
Nashörner und verschiedene Vogelarten. Die beste Sammlung solcher Handschriften
besitzen das National Museum in London sowie diverse andere Museen in Eurpoa und
Amerika.
In Rajasthan und den Bergstaaten Punjab und Himachal war die Malerei von der
Mogul-Schule geprägt. Obwohl sie den hinduistischen Symbolismus und die
Verwendung von Primärfarben übernahmen, entwickelte jede Schule ihren eigenen
Stil. Durch den Einfluß europäischer Malerei wagten sich die indi-schen Künstler
schließlich an neue Themen, Porträts und Naturstudien.
In den Ateliers der Herrscher von Delhi, Agra und Jaipur wurden auch viele
andere Handwerksberufe gefördert. Jaipur gilt bis heute als wichtiges Zentrum
für Edelsteine und Gold- und Silberschmuck, Jade aus China und Zentralasien
wurde zu Stielen und Griffen für Dolche, Weinkelche, hookah- Ständer und
ähnlichem verarbeitet. Aus verschiedenen Winkeln des Mogulreiches wurden Stoffe
herbeigeschafft, um die Häuser zu schmücken und die Adligen herauszuputzen:
feiner Musselin und Baumwolle aus Bengalen, gewirkte Brokatseide aus Benares,
Teppiche und Schals aus Kaschmir, bedruckte und bemalte Stoffe aus Rajasthan,
Gold-, Silber- und Seidenstickereien aus Delhi, Uttar Pradesh und den
Weststaaten.
Niedergang und Beginn einer neuen Ära: Mitte des 18. Jahrhunderts brach das
Mogulreich zusammen. Trauer und Verzweiflung legten sich über Delhi und Agra
nach den verheerenden Raubzügen von Nadir Shah aus Persien, den sagenhafte
Juwelen, Unmengen von Gold und andere Schätze, einschließlich des einzigartigen
Pfauenthrons, erbeutete und Paläste und Häuser zerstörte.
Delhi und Agra büßten ihre Vorherrschaft ein, während die Franzosen, Portugiesen
und Briten sich an die Kolonialisierung von Bombay, Goa, Madras, Pondicherry und
Kalkutta manchten. Erst Jahre nach der Zerschlagung des Mogulreiches trat Delhi
wieder ins Rampenlicht, als es 1911 zur Hauptstadt des britischen Imperiums in
Indien erkoren wurde.
Die britische Architektur in Delhi unterscheidet sich stark von der in Bombay,
Kalkutta oder Madras. Angesichts der gesichert scheinenden Herrschaft war man
bemüht, einen imperialen anglo-indischen Architekturstil zu prägen. Rashtrapati
Bhavan (die Residenz des Vizekönigs) weist neben klassisch griechisch-römischen
Motiven, dorischen Säulen, Bogengängen und Kolonnaden auch indische Zierelemente
wie Lotusblüten und Elefanten auf und zeichnet sich durch die Verwendung des
farbigen Sandsteins aus. Die Wohnhäuser britischer Beamter waren geprägt von
einer eigentümlichen Mischung indischer und europäischer Merkmale, um die
bestmögliche Anpassung an das Klima zu erreichen – hohe Decken, große Fenster
und Türen, seitliche Veranden zur Milderung der Sonneneinstrahlung sowie mit
englischen Bäumen und Blumen bepflanzte Gärten.
Heute bilden Delhi, Agra und Jaipur eine gigantische Collage, in der die alten
Monumente neben neuen Bauten existieren, das Schöne neben dem Häßlichen. Die
Erhaltung des kulturellen Erbes im Gesamtkonzept der modernen Stadt bereitet den
Denkmalschüt-zern heute großes Kopfzerbrechen. |