Die Religion Sikhismus im
alltäglichen Leben in Indien
Die Sikh-Religion ging aus der Lehre des großen Gurus und
Lehrers Nanak zu Beginn des 16. Jahrhunderts hervor. Wie die
Bhddhisten und Jainisten lehnten die Sikhs die rituelle und
zeremonielle Hegemonie der Brahmanen und die sozioökonomischen
Trennungen des Kastensystems ab. Guru Nanaks Lehre ist eine
Synthese der Philosophien des Islam, der Sufis und der Veden und
macht freie Anleihen beim Hindu Lehrer und Poeten Kabir, einem
armen Weber, der ein Weiser wurde, der an die Bruderschaft aller
Menschen glaubte und daran, daß Gott ebenso in Hindu-Tempeln wie
in Moscheen anzutreffen sei. Guru Nanaks Lehre ist im heiligen
Buch der Sikhs, dem Guru Granth oder Granth Sahi, festgehalten.
Von seinem Tod im Jahr 1538 folgten auf Nanak bis 1708 neun
andere Gurus, welche die Sikh Lehre zu einer neuen Sekte des
Hinduismus und schließlich zu einer neuen Religion werden
ließen.
Gegen Ende des 17. Jahrhunderts mußten die Sikhs, die aus dem
Punjab in Nordwestindien kamen, in einer Reihe von kriegerischen
Auseinandersetzungen ihr Gebiet gegen die Moguln von Delhi
verteidigen. Schlacht um Schlacht wurde ausgetragen, um die
Moguln abzuwehren, und viele Anhänger der Sikh-Lehre wurden
versehentlich von ihren Glaubensbrüdern getötet. Der rassische
Ursprung war schließlich der gleiche, und ob Sikh oder Moslem,
die Menschen waren von Geburt an Inder und ihre religiösen
Wurzeln hinduistisch. Es gab nichts, das den einen vom anderen
unterschied, und Militäruniformen mußten erst noch erfunden
werden. So kam es, daß der zehnte Guru der Sikhs, Gobind Singh,
seinen Anhängern ihre Identität gab – die fünf “K” Sikhs sollten
niemals ohne Kanga (kamm), Karga (Stahlarmband) und Kacha (eine
besondere Unterwäsche) sein, ein Kirpan (Schwert) tragen and ihr
Haar ungeschnitten (Kesh) lassen. Sikh Männer sind heute sofort
an ihrem Turban und Bart zu erkennen, Das Schwert sieht man
selten, doch es wird immer noch symbolisch getragen: als
silberne Miniatur im hölzernen Kamm, der zu den Utensilien
sowohl von Männern als auch von Frauen gehört.
Der Glaube, daß alle Menschen von Geburt an gleich sind,
manifestiert sich im Glaubenssatz des Sewa (Dienst oder Hilfe),
der für die Sikh-Religion fundamental ist. Alle Männer, Frauen
und Kinder helfen beim Bau von Gurudwaras (Sikh-Tempeln), wo die
Gurus Wohnen. Es gibt keine bezahlten Architekten, Designer,
Steinmetze und Schreiner, das Essen wird von Männern und Frauen
zubereitet und zweimal täglich in den Gurudwaras verteilt, wohin
die Armen zur Speisung kommen. Reich und arm säubern
gleichermaßen den Tempelboden und halten die Gärten und Teiche
in Schuß. ohne die kein Gurudwara vollständig ist. Man nimmt
sich der Alten, Heim -und Mittellosen an.
Ein Bildnis von Guru Nanak, ein paar Blumen und eine winzige
brennende Lampe machen den Heimaltar aus, vor dem die Sikhs
beten und Verse aus dem Granth singen, die jedem Sikh-Kind
beigebracht werden. Der Gurudwara ist das Zentrum der religiösen
und gesellschaftlichen Aktivität, Obwohl die Sikhs wie die
Hindus keine Regeln betreffend die gemeinschaftliche
Gottesanbetung haben, gibt es eine Form spontoner Kollektivität;
Menschen kommen mit bedeckten Köpfen und sitzen schweigend,
während sie dem Gesang der Priester zuhören.
Gurudwaras existieren überall dort, wo sich die Sikhs
niedergelassen haben. Sie sind ein unternehmerisches Volk, dem
in Indien etwa 80 Millionen Menschen angehören, Viele sind
ausgewandert und über die ganze Welt verstreut. Und wenigstens
einmal in seinem Leben unternimmt jeder Sikh eine Pilgerfahrt
zum Harmandar Sahib, dem göttlichen Tempel (wegen seines
goldenen Kupfer-daches oft als der “Goldene Tempel” bezeichnet)
in Amritsar. |