FATEHPUR SIKRI (Lage,
Architektur & Geschichte)
37 Kilometer westlich von Agra erhebt sich auf einem
Höhenrücken eine Handvoll kleiner schwarzer Kuppeln und roter Minarette.
Fatehpur Sikri entstand vor etwa 400 Jahren unter der Herrschaft des
Großmoguln von Indien, Muhammed Jalal-ud-din Akbar, der zum ersten Mal in
der Geschichte der islamisch-indischen Architektur eine ganze Stadt neu
aus dem Boden stampfen wollte. Die Traumstadt Akbars schmiegt sich
harmonisch an die Konturen der Landschaft, scheint mit ihr verwachsen. Die
ineinanderverschachtelten Hofanlagen halten für den Besucher eine
Überraschung nach der anderen bereit. Die Anordnung der Palastbauten wirkt
willkürlich und doch sorgfältig geplant. In jedem Winkel, hinter jeder
Straßenecke scheint ein Geheimnis auf seine Entdeckung zu warten.
Fatehpur Sikri wird seit jeher von Mythen und Legenden umgeben –
angefangen von den ungewöhnlichen Umständen seiner Entstehung über das
charismatische Auftreten seines Gründers bis hin zu seinem plötzlichen
Niedergang. Warum wurde Fatehpur Sikri mit solcher Eile aus dem Boden
gestampft und schon 15 Jahre nach der Grundsteinlegung wieder verlassen?
Warum wirkt die Anordnung der Bauwerke und Höfe zufällig, fast planlos?
Welchen Prinzipien folgte die Stadtplanung? Was macht Fatehpur Sikri
eigentlich so einmalig?
Die meisten Städte sind das Werk vieler aufeinanderfolgender Generationen.
Jede Generation bringt ihren Anteil ein, ersetzt oft alte Stadtviertel
durch neue. Nebeneinander existierende oder sich überlagernde
Stilrichtungen zeigen Verschiedene Phasen des Stadtwachstums an. Fatehpur
Sikri hingegen ist das Werk eines einzigen Mannes, der mit sehr viel
Vorstellungskraft und Genie im Alter von 28 Jahren den Traum seiner
eigenen Stadt verwirklichen wollte.
Heißersehnter Kindersegen: Als Akbar 1555 den Thron bestieg, hatten sein
Vater und davor sein Großvater die Wurzeln des Mogulreichs bereits tief im
indischen Boden verankert und Agra zu ihrer Hauptstadt gemacht. Als
brillanter, fähiger und weitsichtiger Staatsmann war Akbar von Anfang an
von dem Wunsch beseelt, seinen Ideen für den Aufbau eines gewaltigen
Imperiums Form zu geben. Unter seiner umsichtigen politischen Führung, die
ganz auf die Einigung seines Landes ausgerichtet war, fanden die Moguln zu
ihrer Identität. Sie gründete nicht auf der Durchsetzung islamischer
Wertvorstellungen eines Mogulherrschers, sondern vielmehr auf einer
Verschmelzung verschiedener kultureller Strömungen. Nach seinen
politischen und militärischen Erfolgen war für Akbar in den sechziger
Jahren der Moment gekommen, ideologische Reformen einzuführen und
religiöse Einheit zu schaffen.
1568 hatte Akbar, der mächtigste und bedeutendste Herrscher, der Indien je
reagierte, noch immer keinen Thronfolger. In Sorge um den ausbleibenden
Kindersegen unternahm er Pilgerreisen zu mehreren Schreinen und ersuchte
heilige Männer um Rat. Nachdem all seine Gebete ohne Erfolg geblieben
waren, machte er sich barfüßig zu einem Sufi-Mystiker namens Shaikh Salim
Chisti auf. Dieser prophezeite ihm die baldige Ankunft eines Thronfolgers
und die Geburt zweier weiterer Söhne. Als Akbar bald darauf überglücklich
seinen langersehnten Thronerben von der Königin geschenkt bekam, nannte er
ihn Mohammed Salim – nach dem großen Sufi-Mystiker Shaikh Salim – und
beschloß, den Hof von Agra nach Sikri zu verlegen.
Stadt des Sieges: Angetrieben von einem starken Schaffens-und
Schöpfungsdrang stürzte sich Akbar noch vor der Vollendung der beiden
Festungen in Agrs und Lahore auf die Errichtung der Stadt des Sieges –,,Fatehpur“.
Die neue stattliche Residenz sollte zusammen mit Agra das politische
Zentrum seines Reiches bilden – eine analoge Entwicklung fand ein
Jahrhundert später in Frankreich statt, als Ludwig XIV. Seinen Hof nach
Versailles verlegte, um den Adel unter Kontrolle zu halten. Daß Sikri
nicht als zweites Agra, sondern als Residenz für seinen Hofadel gedacht
war, zeigt sich allein schon an ihrer mangelhaften militärischen
Befestigung und ihrer Größe. (Trotz der exzessiven Bautätigkeit blieb Agra
viel zu klein, den gesamten Hofstaat aufzunehmen.) Über seine politische
Bedeutung hinaus war Sikri die Verkörperung eines Augenblicks des Sieges,
der Freude und des Glaubens.
Bevor Akbar seine Residenz aus Agra verlegte, war Sikri eine Einsiedelei,
bestehend aus ein paar Steinhütten des Sufi- Mystikers Salim und seiner
Anhänger. Außerdem gab es noch eine kleine Moschee, die von den Arbeitern,
die in den Sikri-Bergen für den Bau der Agra-Festung Steine klopften, zu
Ehren des wundertätigen Heiligen errichtet wurde. Sikri war eng mit der
Geschichte Indiens vor Akbars Zeiten verbunden. Im 12.Jahrhundert diente
Sikri als Bastion der Sikar-war-Rajputen – der Namensgeber Sikris – und
später als strategischer Grenzposten mehrerer moslemischer Herrscher.
1526 benutzte Babur, der Begründer des Mogulreichs, Sikri als
militärischen Sammlungspunkt, von dem aus er den letzten moslemischen
Sultan besiegte. Als großer Blumenliebhaber ließ Babur an den Hängen
Sikris einen herrlichen Garten und einen künstlichen See anlagen, an
dessen Ufer sein Enkel Akbar später seinen Palast baute.
Jama Masjid war nicht nur das erste, sondern auch das größte und höchste
Bauwerk, das in der neuen Residenzstadt errichtet wurde. Es markierte den
Mittelpunkt Sikris, um den sich alle weiteren Bauten gruppierten. Den
Zugang zur nach Mekka ausgerichteten Moschee bildet das Badshahi Darwaza,
das Herrschertor, im Osten. Mehrere Zellen, in denen der Sufi-Mystiker
Chisti seine Schüler unterrichtete, umsäumen einen großen Hof aus rotem
Sandstein, unter dem sich ein unterirdisches Wasserbecken für die
rituellen Reinigungsbäder befand. Das westliche Portal – ein prächtiger
Kuppelbau, innen in Blau, Braun, Gold und Weiß gestrichen – ist die
eigentliche Gebetshalle. Hier soll Akbar selbst die Gläubigen zum
Freitagsgebet aufgerufen und mit es mit ihnen verrichtet haben, was nicht
in seiner Kompetenz lag. Der islamische Gebetsaufruf ,,Allah-ho-Akbar“
kann sowohl mit ,,Gott ist groß“ als auch mit ,,Akbar ist Gott“ übersetzt
werden – kein Wunder also, daß der Mogul-herrscher so großen Gefallen an
seiner Rolle als Gebetsrufer fand.
Auf einer Seite des Hofes zieht ein weißer Marmorbau mit feinem
Gitter-werk die Aufmerksamkeit auf sich. Es handelt sich um das Grab des
Sufi Mysti-kers Salim Chisti, das als einziges Bauwerk in Sirki ganz aus
Marmor ist. Am Eingang zu der Grabstätte sind kleine Bindfäden erhältlich,
die Gläubige an dem Marmorgitterwerk befestigen in der Hoffnung, daß Salim
Chisti auch ihnen einen reichen Kindersegen bescheren möge. Die wellig
vorkragenden Marmorstützen, die das Dach tragen, erinnern an stilisierte
Schlangen. In der Grabkammer selbst bilden Perlmutt-, Topas –und
Lapislazuli-Intarsien einen farbigen Kontrast zum weißen Marmor.
Einige Jahre nach der Fertigstellung der Moschee, als Akbar von einem
erfolgreichen Feldzug aus dem Dekkan nach Fatehpur Sikri zurückkam,
beschloß er, einen Triumphbogen als Symbol seines Sieges zu errichten. und
so wurde der Südeingang der Moschee in einen gigantischen fünfstöckigen
Torbau verwandelt – das gewaltigste Monumentalwerk, das Akbar der Nachwelt
hinterließ. Über eine zwölf Meter hohe Treppenflucht erreichbar, blickt
das Buland Darwaza auf die Stadt und das weite Umland und verkündet in
rotem Sandstein und weißem Marmor den offensichtlichen Triumph Akbars.
In den meisten Städten jener Zeit wurde die Herrscherresidenz wie ein
Augapfel gehütet, schwer befestigt und durch hohe Mauern und breite Gräben
vom Rest der Stadt abgeschirmt. Islamische Architekten überließen die
Stadtentwicklung oft dem Zufall. Sobald der Palast einmal stand, wuchsen
Häuser und Straßen organisch um den Stadtkern herum. Bei Fatehpur Sikri
war das anders. Sikri war durch und durch geplant und entsprang dem
innovativen Geist eines hervorragenden Architekten.
Aus den Forschungsarbeiten läßt sich schließen, daß das Straßennetz, die
Stadtmauern und die Haupttore Fatehpur Sikris nach einem Gittermuster
angelegt waren. Dieses als städtebauliches Grundgerüst zusammen mit der
Dominanz eines Baumaterials – roter Sandstein – verliehen Fatehpur Sikri
ein einheitliches Stadtbild. Ähnliche, dem Muslim z. T. heilige
Bauprinzipien kamen in anderen architektonischen Werken Akbars, Baburs und
Jahangirs zur Anwendung. Shahjahan hingeben griff auf eine orthodoxere
persische Tradition zurück.
Fatehpur Sikri war eine dynamische Stadt mit einer unbefestigten
Zitadelle, die selbstbewußt auf einem Höhenrücken thronte. Zwischen der
spektakulären Kulisse der Jama Masjid im Westen und Akbars Palast im
Nordwesten breitete sich die Stadt in Richtung Süden aus.
Zeltstädte: Als die Architekten Akbars 1571 mit der Planung der neuen
Residenzstadt begannen, fragten sie sich sicherlich, wo genau sie die
Zitadelle anlegen sollten, wie sie überhaupt aussehen und vor allem wie
sie wirken sollte, und welches Gebiet sich als Standort für einen Palast
eignete. Aufschluß über ihre Entwürfe geben heute nur noch die Ruinen und
die Geschichte und Lebensweise der Moguln.
Früher lebten die rastlosen Moguln in großen Zeltlagern, die innerhalb
weniger Stunden aufzubauen waren. Ausgestattet mit kostbaren Teppichen und
reichem Brokat, erinnerten die Zelte aus reißfestem Stoff an den Luxus der
Paläste in Persien und Afghanistan, in denen ihre frühen Vorfahren ein
seßhafteres Leben geführt hatten. Aber als sich die moguln in Delhi, Agra
und Lahore niederließen, imitierten sie nicht die Bauweise der
einheimischen Paläste. Ihre Bauwerke, vor allem ihre Profanbauten,
ähnelten in ihrer Struktur vielmehr ihren traditionellen Zeltlagern.
Akbar war durchschnittlich vier Monate im Jahr auf Reisen. Auf seinen
Expeditionen wurde er meistens von Ministern, Adligen und Prinzessinnen
mit ihrem Gefolge begleitet. Berittene Soldaten und ,,Straßenbautrupps“
machten einen wichtigen Teil seiner gewaltigen Armee aus. Jeder
Zwischenstopp wurde zur Pflichtübung im raschen und organisierten Zeltbau.
Ein Jesuitenmönch, der Akbars Indien besuchte, war fasziniert von dem
Organisationstalent der Moguln und ihrer Fähigkeit, binnen weniger Stunden
eine riesige Zeltstadt auf- und auch wieder abbauen zu lassen.
Von der Natur ausgestattet mit innovativem Geist und Organisationstalent,
entwarf Akbar eine flexible Raumplanung für seine kaiserlichen Zeltstädte.
Eine schematische Aufteilung garantierte optimale Raumnutzung, maximalen
Komfort und Ordnung. Das Zeltlagersystem Akbars an die Topographie eines
neuen Standorts leicht anzupassen – wurde zur Grundlage für den Bau des
Palasts in Sikri und vieler anderer Mogul-Städte.
Die Zeltlagerordnung sah vier zentrale Bereiche mit verschiedenen
Funktionen vor. In dem ersten Bereich empfing Akbar das gemeine Fußvolk
und seine Reiter. Zur zweiten Zone hatten nur privilegierte Adlige, hohe
Offiziere und enge Freunde des Mogulherrschers Zugang. Im dritten
Lagerbereich war der Palast Akbars mit seiner komfortablen Schlafstätte
untergebracht. In der vierten, streng bewachten Zone hielten sich die
Frauen des Mogulherrschers auf. Die vier Lagerbereiche waren axial nach
sicherheits-technischen Gesichtspunkten hintereinander angeordnet. Alle
übrigen Lagerbereiche mit den Schlafstätten der Soldaten, den Werkstätten
und den Geschäften gruppierten sich um das Zentrum. Das königliche
Zeltlager wurde Tag und Nacht von Wachen beschützt. Jüngste
Forschungsergebnisse lassen den Schluß zu, daß Akbar seine Palastanlage in
Fatehpur Sikri nach den gleichen Prinzipien errichtete wie seine
Zeltstädte.
Der Standort, den Akbar für seine Residenz gewählt hatte, lag auf einem
Schmalen Höhenrücken, der diagonal nordostwärts von der Moschee wegführte.
Der für den Palastbau verfügbare Raum war vermutlich kleiner als jedes
seiner Zeltlager. Die lineare Anordnung der Palastbereiche nach dem
Vorbild der Zeltstädte Akbars mußte an die Topographie des Geländes
angepaßt werden. Die Ruinen bezeugen, daß die Architekten von Fatehpur
Sikri diese Aufgabe meisterhaft gelöst haben.
Die zahlreichen Palasthöfe wurden parallel zur Jama Masjid angelegt. Die
Moschee ist in Nord-Südrichtung ausgelegt, und ihre Gebetswand weist fast
exakt nach Westen, in Richtung Mekka. Mit geometrischem Hintergrundwissen
lassen sich die vier Zeltlagerbereiche wie Teile eines Puzzles
zusammenfügen. Basierend auf axial ineinander verschachtelten
Bauelementen, nimmt sich das städtebauliche Grundgerüst als offene,
lockere Gesamtkomposition mit viel Freiraum aus. Keine Achse dominiert,
alles ist aufeinander abgestimmt und genau berechnet – die Größe der Höfe
und der Gebäude, die Ausrichtung und Breite der Straßen.
Eine interessante Spannung erhält die Raumstruktur der Stadt durch die
Höhenverschiebungen der hintereinander gestaffelten Bauelemente. Die
einzelnen Ebenen waren sogar nach einem hierarchischen Prinzip angeordnet.
Der für das gemeine Volk zugängliche Bereich war auf der untersten Ebene
angelegt, die höchste Ebene war dem Palast und dem Harem vorbehalten.
Aus praktischen Gründen wurden alle ,,Dienstleistungseinrichtungen“ wie
die Münze, die Werkstätten, die Palastküche und die Bäder entsprechend den
Geländeformationen des Höhenrückens angeklagt, während alle vom Herrscher
genutzten Gebäude oben auf dem Bergkamm parallel zur Moschee ausgerichtet
wurden. Die Plazierung der ,,Konsumenten“ direkt über den ,,Produzenten“
machte Fatehpur Sikri zu einer Stadt der kurzen Wege und gab Akbar bessere
Kontrollmöglichkeiten an die Hand. Die Kombination aus parallel und
diagonal angeordneten Bauelementen führte zur Entstehung unregelmäßiger
freier Flächen um den Palastbereich. Das bauliche Grundgerüst der Stadt
war geplant, geordnet, aber dennoch offen und dynamisch, ganz und im
Gegensatz zur Roten Festung in Delhi oder zur in Symmetrie erstarrten
Grabstätte von Humayun.
Um den Palast so rasch und effizient wie möglich fertigzustellen, hatte
Akbar eine Art Fertigteilproduktion erfunden. Die Sandsteinblöcke, die in
den Sikri-Steinbrüchen geschlagen wurden, wurden gleich vor Ort zu Platten
oder Säulen verarbeitet und später auf der Baustelle zusammengesetzt.
Fetehpur Sikri heute: Fatehpur Sikri ist heute eine verlassene
Ruinenstadt, die sich aus fremdenverkehrstechnischen Gründen dem Besucher
nur über das Agra-Tor im Osten erschließt. Von hier aus geht es immer in
Richtung Westen weiter. Die Straß zum Palast führt links ab durch das
Portal Naubat khana. Dieser Eingang führte früher direkt zum ersten
Palastbezirk, einer
großzügig angelegten Hofanlage, in der der Herrscher Audienzen gab, sich
die Probleme und Klagen seiner Untertanen anhörte und Recht sprach.
Ausgeschmückt mit kostbaren Teppichen auf dem Boden und an den Wänden,
diente auch der Diwan-i-Am als Audienzhalle. Neben offiziellen Empfängen
wurden hier auch Feierlichkeiten (wie etwa die Hochzeit Jahangirs) und
öffentliche Gebetsversammlungen abgehalten.
Fatehpur Sikris Architektur hat nichts Großartiges an sich, sondern ist
eher von einer stillen Eleganz, die sich in endlos variierenden Formen
widerspiegelt. Fast vollständig aus roten Sandsteinblöcken aus den
umliegenden Steinbrüchen gebaut, trägt die Stadt eine Einheitlichkeit zur
Schau, die nur ab und an von weißen Marmorintarsien und blauen Dächern
durchbrochen wird. Die Verschmelzung hinduistischer Bauelemente mit
islamischer Ornamentik, die verhaltene Eleganz und Anmut gekoppelt mit
geometrischen Formen hebt Fatehpur Sikri von der Masse der Mogul-Bauwerke
ab.
Dem zweiten und dritten Zeltlagerbereich entspricht in Fatehpur Sikri ein
riesiger viereckiger Stadtbezirk, der alle offiziellen Funktionen des
Palastlebens auf sich vereinte und eine reine Männerdomäne darstellte.
Jeder, der diesen Palastbereich, der wohl die prächtigsten und
berühmtesten Bauwerke Fatehpur Sikris vereinte, betreten wollte, mußte
sich niederknien und die Schwelle am Eingang küssen.
Am nördlichen Ende dieser Hofanlage steht der elegante Diwan-i-Khas, der
durch seine außergewöhnliche Innengestaltung auffällt. Das Innere des
zweistöckigen Baus wird von einer zentralen Säule beherrscht, von der vier
Stege diagonal zu einer rundumlaufenden Galerie ausstrahlen. Sinn und
Zweck dieser ungewöhnlichen Konstruktion sind nicht bekannt. Es kann sein,
daß der Mogul-herrscher den Diwan-i-Khas als private Audienzhalle oder als
Versammlungs-raum für die Gelehrten und Gesistlichen, die er zu
theologischen Diskussionen einlud, oder sogar als Schatzkammer für
seine Juwelen benutzte. Das wuchtige Kapitell der Säule ist deutlich der
Hindu-architektur von Gujarat zuzuordnen, einer Region im Westen Indiens,
aus der Akbar besonders viele Handwerker her beordert hatte.
Die Zeltlagerstädte Akbars hatten alle einen großen Hof, der die privat
genutzten Bereiche des Großmoguls von der Münze, den Werkstätten und den
Geschäften abtrennte. Auf diesem ,,vom Mond erhellten“ Hof traf sich der
Mogul-herrscher mit einer Handvoll auserwählter Besucher zu einem
Plauderstündchen oder einer Partie pachisi. Auch in Fatehpur Sikri gibt es
einen solchen Platz, den Pachisi-Hof. In seine Mitte ist ein kreuzförmiges
Muster eingelassen, auf dem sich der Hofadel bei einem schachähnlichen
Spiel vergnügte. Daß Sklavinnen dabei als lebende Figuren dienten, ist
historisch nicht gesichert, aber durchaus vorstellbar. Zu Akbars Zeiten
muß der Palast mit seinen wertvollen Teppichen, Brokatbaldachinen und
langen Fackelreihen wohl hauptsächlich der Unterhaltung hochrangiger
Adliger und ausländischer Gesandter gedient haben.
An der Südwestecke der Hofanlage steht ein zweistöckiges Gebäude, das
allgemein – aber fälschlicherweise – Mädchenschule genannt wird. Hinweise
in mehreren Chroniken sowie die Innenausstattung des Baus legen die
Vermutung nahe, daß die ,,Mädchenschule“ als Lagerhaus für Früchte und
Wasser aus dem Ganges verwendet wurde. Vorstellbar ist auch, daß in dem
Gebäude Speisen aus weiter entfernten Küchen aufgewärmt und angerichtet
wurden.
Am Südende des Palasthofes gruppieren sich um ein Wasserbecken die
Privatgemächer des Mogulherrschers. In die Südfront des Hofes waren einst
prächtige Zimmerfluchten mit der Privatbibliothek und den Studierräumen
Akbars eingelassen. Hier saß der Mogulherrscher im Schneidersitz auf einem
kleinen, mit Teppichen überzogenen Podest und empfing Adlige und Gelehrte,
mit denen er lange Diskussionen, oft bis spät in die Nacht hinein, führte.
Auch wenn Akbar weder schreiben noch lesen konnte, war er dennoch ein
gebildeter Mann. Er ließ sich täglich Bücher über die verschiedensten
Themen vorlesen und bildete sich durch Gespräche mit Gelehrten. Akbar
verhalf dem intellektuellen und kulturellen Leben an seinem Hof zu einer
ruhmreichen Blüte. Er gab den Anstoß zur Gründung einer eklektischen,
synkretistischen Religion, Din-i-Illahi, die obwohl sie nur 17 Anhänger
hatte – revolutionär für ihre Zeit war. Wenn Fatehpur Sikri auch ,,ein
tragiseher politischer Fehlschlag war“, wie Richard Lannoy schrieb, ,,so
hat dieser Fehlschlag nichts mit seiner Architektur zu tun, die der
vollendetste Ausdruck der liberalen Gesellschaft ist, die (viele) indische
Herrscher vergeblich zu erreichen suchten.“ In den Boden der
Privatgemächer des Mogulherrschers waren Wasserleitungen eingelassen, die
je nach Jahreszeit mit kaltem oder warmem Wasser für angenehme
Raumtemperaturen sorgten.
Über dem ,,Zeichenraum“ und der Bibliothek lag eine kleine, mit
vergoldeter Kalligraphie und Gemälden aus Persien und der Türkei
ausgeschmückte Kammer, die allgemein Khwabgah genannt wird, was wörtlich
übersetzt ,,Platz der Träume“ bedeutet. Das Schlafzimmer des Großmoguls
war über einen Gang direkt mit dem Harem verbunden. Von seinem Platz der
Träume hatte Akbar einen direkten Blick auf den Palasthof, den
Diwan-i-Khas im Norden, den Pachisi-Hof, Khwabgah und die Büroräume des
Daftar Khana im Süden, die alle von einer imaginären Achse durchzogen
werden. Der rote Sandstein der Hofanlage und der umstehenden Bauten stand
im Kontrast zu dem grünen Wasser des Zierteichs in der Hofmitte, der von
einem kreuzförmig angelegten Fußweg zu einer zentralen Plattform
überspannt wurde. Man kann sich sehr gut vorstellen, wie Akbar, in der
Mitte des Teichs thronend, die lauen Sommernächte genoß.
Die Residenz der türkischen Sultana auf der anderen
Hofseite hat ebenfalls einen direkten Blick auf den Zierteich. Da sich der
Bau jedoch in einem Palastteil befindet, der ausschließlich Männern
vorbehalten war, ist es wahrscheinlicher, daß er als Konferenz -oder
Diskussionsraum diente. Er besteht nur aus einer einzigen schmalen Kammer,
die mit ihren wunderbaren Wanddekorationen zu den schönsten Innenräumen
der Stadt zählt. Die Motive des reichen Schnitzwerks –Dattelpalmen,
Granatäpfel, exotische Tiere und Wolken – zeugen von persischen,
türkischen, ja sogar chinesischen Einflüssen.
Östlich der ausschließlich den Männern vorbehaltenen Palastbereichen
liegen die Gemächer der Frauen mit dem Hauptharem, den Residenzen der
Hauptfrauen und einem Haremsgarten. Vom Palasthof führt ein kleiner Torweg
zum Palast der Mariam, der Mutter Akbars. (Mariam wird auch oft als
christliche Königin ausgegeben, wovon aber keine Spur in den
zeitgenössischen Chroniken zu finden ist.) Die ernste und nüchterne
Außenfassade täuscht, verbergen sich doch im Innern prächtige
Wanddekorationen, die noch bis ins 19. jahrhundert in glänzen dem Gold
erstrahlten. Einst zogen vergoldete Engel durch weiße Wolken, und Vögel
und Tiere streiften durch Blumenwiesen, Eine Wandinschrift lautet; ,,Die
Gärten auf diesen Wänden sind wie die Gärten des Paradieses.”
Leider haben der Zahn der Zeit und Sikris rauhes Klima von der glanzvollen
Blüte der paradiesischen Gärten nur ein blasses Abbild übriggelassen.
Die höchste Palastebene nimmt der Hauptharem ein, allgemein auch Jodhbais
Palast genannt. Er wirkt schwer und feierlich und war wahrscheinlich das
wichtigste, mit Sicherheit aber das größte Gebäude des Palastbezirks. Für
die Privatsphäre und die Sicherheit seiner Bewohnerinnen sorgte nicht nur
der versetzt angeordnete Eingang, sondern auch die zahlreichen Eunuchen.
Die Privatgemächer der Frauen Akbars sind um einen zentralen Hof
angeordnet. Ein Bereich diente wahrscheinlich als Tempel für die
hinduistischen Prinzessinnen. Jodhbais Palast stellt eine Verschmelzung
stilistischer Einflüsse von Gujarat, Mandu und Gwalior mit traditioneller
islamischer Ornamentik dar, die in ihrer Synthese einmalige
Mogul-Dekorelemente hervorbrachte, wie etwa das für Sikri
charakteristische Tulpenmuster. Die strahlend blauen Dächer des Palasts
setzen einen farblichen Kontrapunkt in der ganz von rotem Sandstein
beherrschten Stadt. An die Frauengemächer angegliedert ist das Hawa Mahal,
ein turmartiger, mit reichem Schnitzwerk verzierter Pavillon, in dem der
Großmogul in heißen Sommernächten die kühle Nordwestbrise genoß. Der
Viadukt, der von der Nordseite des Harems wegführte, verschaffte den
Prinzessinnen einen privaten Zugang zu den Pavillons am See und dem einmal
wöchentlich am Fuße des Palasts stattfindenden Basar.
Den dritten Baukomplex in der Frauendomäne bildet ein mit reichem
Schnitzwerk verzierter Palast, der allgemein Birbal, einem wortgewandten
und geistreichen Höfling Akbars, zugeschrieben wird. Weder Birbal noch
irgendein anderer Mann wird je in dem Palast tatsächlich gewohnt haben, da
er sich noch direkt im Haremsbereich befindet. Durchreisende haben den
Birbal-Palast als das schönste Wohngebäude Sikris-bezeichnet, und wenn man
einmal von dem Harem absieht, so geben ihnen das prächtige Schnitzwerk und
der Blick, den man vom Birbal-Palast aus genießt, durchaus Recht. Jeder
Quadratzentimeter an der Decke und an den Wänden wird von herrlichen
Arabesken überzogen, die so kunstvoll ausgearbeitet sind, daß sie wie
Teppichstoff wirken. Wie viele andere Bauwerke in Fatehpur Sikri verrät
auch der Birbal-Palast durch seinen Innendekor und seine vom Gujarat-Stil
geprägten Balken und Stützen eine Beeinflussung durch die Hinduarchitektur.
Einen angenehmen Kontrast zu dem heißen, roten Sandstein des Palastbezirks
bietet der in Seenähe gelegene charbagh, der zu Akbars Zeiten der
Schönheit der Paradiesgärten Konkurrenz machen konnte. Der einst von einer
Mauer umschlossene Garten war von allen drei umliegenden Haremsbereichen
zugänglich und umfaßte ein kleines Badehaus, Pavillons und einen
Fischteich in der Mitte, der über Aquädukte mit dem Wasser des Sees
gespeist wurde.
In dem heißen und staubigen Fatehpur Sikri hätten Kellergeschosse unter
der Erdoberfläche sicherlich angenehme Kühlung verschafft. Da das harte
Felsgestein aber eine Untermauerung der Bauwerke nicht zuließ, wurden als
Alternative luftige Türme errichtet, die in märchenhaften Formen zum
Himmel emporragen. Westlich der Empfangs- und Wohngebäude steht das Panch
Mahal, dessen berühmte Silhouette das Bild des Palastes prägt. Der
Pavillon besteht aus fünf Stockwerken, die sich nach oben verjüngen. Von
dem nach allen Seiten offenen, somit angenehme Kühlung verschaffenden,
Aussichtsturm ließ sich das Palastleben hervorragend beobachten.
Während die vom Großmogul, von den Hofadligen und vom Harem genutzten
Palastanlagen den oberen Teil des Bergrückens für sich in Anspruch nahmen,
mußten sich alle übrigen Bezirke mit den abfallenden Hängen begnügen. Gut
zu erkennen sind die Küchen und Bäder im Süden, die Werkstätten (wie etwa
die Münze) im Nordosten und das Wasserwerk am See, das mit seinen
persischen Wasserrädern die Trinkwasserversorgung der Stadt sicherstellen
sollte.
Zugangsmöglichkeiten zum Palast bot früher auch die Nordseite der Stadt.
Man kann sich sehr gut vorstellen, wie der Großmogul und sein Gefolge auf
Dickhäutern und rassigen Pferden die lange Rampe überquerten und durch das
monumentale Hathi-Tor (Elefantentor) in die Stadt Einzug hielten. Die
beiden drei Meter hohen Steinelefanten, die einst alle Ankömmlinge am
Nordeingang willkommen hießen, sind wahrscheinlich der Zerstörungswut
Aurangzebs zum Opfer gefallen und heute nur noch als Gesteinsbrocken zu
erkennen. Vom Elefantentor konnte der Großmogul über einen Torweg zu
seinen Arbeitsräumen und die Haremsdamen über einen geheimen, von
Gitterwerk geschützten Gang direkt zu ihren Gemächern gelangen.
Die weiten Höfe der Zitadelle, die breiten Rampen und die hohen, sogar von
Elefanten passierbaren Torwege verliehen der Nordseite der Palastanlage
einen dramatischen Charakter und ein majestätisch imposantes Gepräge, das
sich heute leider nicht mehr nachvollziehen läßt, da alle nördlichen
Zugänge zur Palastanlage in den letzten Jahren gesperrt wurden.
Um den See herum lagen zahlreiche Vergnügungsstätten wie etwa kleine
Wasserpavillons, Bäder und sogar ein Polofeld, auf das Großmogul besonders
stolz war. Hinter der Karawanserei mit Unterkünften für reisende Händler
erhebt sich ein 21 Meter hoher, turmähnlicher Bau mit nach oben
geschwungenen Steinzylindern. Der Überlieferung nach soll der Hiran Minar
die Stelle markieren, an der der Lieblingselefant Akbars begraben wurde.
Der exponierte Standort läßt aber auch den Schluß zu, daß der von weitem
sichtbare Meilenstein eine Wegweiserfunktion innehatte.
Die Wasserversorgung der Stadt wurde durch einen großen künstlichen See
sichergestellt. Ein sorgfältig ausgearbeitetes Bewässerungssystem
transportierte das Wasser aus dem See zu einem großen Sammelbecken, hob es
mit mehreren, von Kamelen und Ochsen angetriebenen Rädern über mehrere
Stufen und leitete es über Aquädukte zu allen Palastbereichen. Genauso
genial wie die Wasserzuleitung war auch die Wasserableitung. Das
Schmutzwasser wurde über Kanäle abgeführt, gespeichert und ,,recycled“.
Die großzügig angelegten Hofbäder am Südhang Sikris erinnern an die
römischen Bäder des Kaisers Caracalla.
Verlassen, aber nicht vergessen: Der Traumstadt Akbars mit ihrer erhabenen
Moschee, ihren kleinen Lustpavillons, prächtigen Gärten und weitläufigen
Hofanlagen war nur ein kurzer Augenblick des Ruhmes vergönnt. 15 Jahr nach
der Grundsteinlegung in Fatehpur Sikri verließ der gesamte Hofstaat – 5000
Frauen und 1000 Männer – Akbars Traumstadt und hinterließ eine tote
Sandsteinwüste mit ein paar Nachkommen des Shaik Salim Chisti. Für die
Preisgabe der herrlichen Stadt gab es vielerlei Gründe: Akuter
Wassermangel hatte das Leben für die Palastbewohner fast unerträglich
gemacht. Für Akbar war es unpraktisch, gleichzeitig zwei Residenzen – eine
in Agra und eine in Sikri – zu unterhalten. Der Hauptgrund mag aber wohl
politischen Ursprungs gewesen sein: Akbar wurde dringend an der
Nordwestgrenze seines Reiches gebraucht, um eine Festung einzunehmen und
seine Stellung zu konsolidieren.
Während seiner fünfzigjährigen Herrschaft errichtete Akbar nie eine
perma-nente Hauptstadt, sondern wechselte das Lager nach alter
Mogul-Manier, wann immer er es für nötig hielt. Der Standort einer
Hauptstadt wurde immer nach den strategischen Interessen des Reichs
ausgewählt. Die Entscheidung, Fatehpur zu verlassen, wurde Akbar nicht
zuletzt auch durch die geringen Baukosten leicht gemacht – die Errichtung
Fatehpur Sikris beanspruchte nur ein Fünfzigstel der gesamten
Nettoeinnahmen des Großmoguls. Angesichts des Nomadendaseins, das Akbar
führte, erscheint es durchaus angemessen, daß seine provisorischen
Niederlassungen die Unbeständigkeit seines Lebensstils widerspiegeln. Der
vergängliche Charakter allen Seine ist eines der Hauptthemen aller
heiligen Schriften, so auch des Hadith, aus dem sich folgende Textstelle
eingraviert auf dem Buland Darwaza findet:
Die Welt ist eine Brücke;
Deshalb überquere sie,
Aber bebaue sie nicht.
Ein Streifzug durch die Ruinen Fatehpur Sikris versetzt den
phantasievollen Besucher 400 Jahre zurück, als die Paläste und Pavillons
mit Brokat und wertvollen Teppichen ausgelegt waren und das Wasser in
Aquädukten und Wasserbecken lebhaft gluckste. Die goldenen Fresken sind
heute verblaßt, der See ist ausgetrocknet, und die Rosensträucher
verströmen schon lange nicht mehr ihren süßen Duft. Geblieben ist aber der
Geist eines großen Baumeisters mit reicher Phantasie und
leidenschaftlicher Hingabe: Muhammed Jalal-ud-din Akbar. |