MATHURA UND VRINDAVAN
Mathura liegt 146 Kilometer südlich von Delhi an der
Straße nach Agra am rechten Ufer des Yamuna. Bei den Griechen hieß die
Stadt Madoura tontheon (Mathura der Götter). Mathura war die zweite
Hauptstadt des Kushan-Reichs (1.bis 3.Jahrhundert n. Chr.) Pilger wie
Fahsein (5. Jahrhundert n. Chr.) und Hsuan Tsang (7. Jahrhundert n. Chr.)
Reisende wie Tavernier (1650) und Pater Tiefenthaler (1754) und andere,
die Mathura und das benachbarte Vrindavan besuchten, sind Zeugen der
kulturellen und historischen Bedeutung der Region. Ihr Wohlstand und ihre
leicht zugängliche Lage waren eine Einladung für Plünderer wie etwa Mahmud
von Ghanzi (1017 n. Chr.) und viele andere. Heute fliegen Reisende völlig
uninteressiert über die beiden Städte hinweg oder fahren an ihnen auf der
Umgehungsstraße vorbei – schade eigentlich, denn Mathura und Vrindavan
verkörpern in ihrem Stadtleben und in ihren Monumenten das Wesen Indiens.
In dieser Hinsicht ähneln sie Pilgerzentren wie etwa Varanasi in Uttar
Pradesch oder Pushkar in Rajasthan. Zwar können Mathura und Vrindavan
nicht mit beeindruckenden Beispielen indischer Architektur aufwarten,
einige Stadtteile – ins- besondere in Ufernähe – verdienen dennoch das
Prädikat: sehenswert.
Mathura und Vrindavan liegen im Herzen einer Region
namens Brajbhumi, was übersetzt ,,das Land der Braj“ bedeutet. Das Gebiet
ist etwa 70 Kilometer lang und 45 Kilometer breit und folgt dem Lauf des
Yamuna. Brajbhumi ist das heilige Land des Vaishnavismus, dessen Anhänger,
die Vaishanvas, den Beschützer der Hindu-Dreiheit, Wischnu, verehren.
Wischnu trat hier in der Inkarnation des Krishna auf, befreite die ganze
Welt vom Bösen und offenbarte in der berühmten epischen Schlacht von
Kurukshetra das Bhagvadgita, ein religiös-philosophisches Lehrgedicht,
welches in das sechste Buch des Mahabharata eingefügt ist. Sein amouröses
Geplänkel mit den Hirtinnen von Vrindavan war Inspirationsquelle für
bedeutende indische Lyriker, Musiker und Maler. Ausdruck des KrishnaKults
in Mathura und Vrindavan sind die zahlreichen Pilgerreisen zu den
geheiligten Orten, die Stationen seines Lebens markieren, und der große
Lobgesang mahamantra:
Hare Krishna, Hare Krishna,
Krishna, Krishna, Hare Hare,
Hare Rama, Hare Rama,
Rama, Rama, Hare Hare.
Wer das Land der Braj besucht, ist nicht auf der Suche nach Architektur,
sondern nach Lebenskultur. Die Verbundenheit Mathuras und Vrindavans mit
der Geschichte Krishnas und die Hingabe der Menschen an den Gott ist
überall Präsent und fast schon physisch spürbar. Da die Vorstellung der
Inder von der Geschichte seit jeher subjektiv ist, fällt es schwer, Fakten
und Glaubensvorstellungen voneinander zu trennen. Frühgeschichtlicher
Nimbus umgibt zahlreiche Bauten in der Region, von denen die meisten aber
nur ein paar Jahrhunderte alt sind. Ironischerweise geht der früheste
nachvollziehbare Hinweis auf das hinduistische Zentrum auf buddhistischen
oder jainistischen Ursprung zurück, Vor seinem Tod 477 v. Chr. hat Gautama
Buddha in Mathura gewirkt. Der Legende nach soll aber Krishna schon einige
Jahrhunderte von Buddha in der Region aufgetreten sein, wofür es
allerdings keinen geschichtlichen Beleg gibt. Die Wedas, Puranas und die
Heldengedichte, die um 400 n. Chr. entstanden, spiegeln die Geschichte
Nordindiens etwa vom 10. Jahrhundert v. Chr. an, dem auch Krishnas
Auftreten in dieser Region zugeordnet wird.
Anhand von archäologischen Funden läßt sich die Besiedlung des Gebiets bis
ins 6. Jahrhundert v. Chr. zurückverfolgen. Damals stand die Region unter
buddhistischer Hegemonie. Nach den Saken fielen Horden aus Kushan,
zentralasiatische Nomaden, etwa im 1. Jahrhundert vor Chr. von Baktrien
nach Indien ein, machten Mathura zu ihrer Winterresidenz und konvertierten
zum Buddhismus. Als Förderer einer bedeutenden Kunst- und Kulturblüte
führten sie nach den Eroberungszügen Alexanders des Großen hellenistische
Stilelementen in die indische Kunst ein und gründeten die
Mathura-Kunstschule. Das Kushan-Reich, das von Peshawar aus regiert wurde,
errichte unter dem berühmten Herrscher Kanishka seinen Zenit; dessen
Regierungsantritt 78 n. Chr markierte den Beginn einer Epoche, die als
Saken-Ära bekannt wurde.
An wichtigen Handelsrouten gelegen, entwickelte sich Mathura unter der
Kushan-Herrschaft zu einem bedeutenden Handels- und Kulturzentrum. Die
Mathura-Kunstschule erwies sich als Nährboden für begabte Künstler, die
sich mit ihren Werken aus rotem und geflecktem Sandstein in der Kunstwelt
Anerkennung verschafften. Während die Buddha-Darstellungen jener Zeit
unter den Einfluß des im Kushan-Reich eingeführten griechisch-römischen
Stils gerieten, bewahrte die Mathura-Kunstschule die Wesenszüge des
einheimischen Kulturraums. Das Mathura-Museum beherbergt die größte
Sammlung von Skulpturen und anderen Artefakten, die in Indien in diesem
Stil gefertigt wurden. Zeitgenössische chinesische Pilger berichten von
wundervollen Buddha-Darstellungen und anderen buddhistischen Motiven,
herrlichen Stupas und religiösen Kultstätten, von denen heute allerdings
nur noch Fragmente erhalten sind. Die archäologischen Funde bei Sonkh in
der Nähe von Mathura liefern Beweise für die Existenz dieser Zivilisation.
Nach der Saken-Ära besann sich Mathura, zwischen kurzen Phasen weiterer
religiöser Verfolgungen, wieder auf seine hinduistische Vergangenheit. Die
in diesem Zeitraum entstehenden Epen reflektieren die politische und
religiöse Entwicklung des Landes und somit auch den Aufstieg der Brahmanen.
Es wird vermutet, daß die heutige Verehrung Wischnus auf jene Epoche
zurückgeht, in der die Brahmanen unter dem Banner Wischnus wieder ihren
alten Einfluß zurückeroberten. Es besteht kein Zweifel darüber, daß der
Vaishnavismus seine Wurzeln im Land der Braj hat, wo jeder Dorfhügel und
jeder Teich mit den Kindheitserlebnissen Krishnas eng verbunden ist. Die
Quelle dieser Religion bildet das Bhagvat Purana, das allgemein Bopadeva,
der im 12. oder 13. Jahrhundert in Indien lebte, zugeschrieben wird. Man
kann das heutige Mathura und Vrindavan nicht verstehen, wenn man diese
Legende nicht kennt.
Legende und Wirklichkeit: Vor mehr als 3000 Jahren riß König Kansa
den Thron von Mathura an sich und begründete eine Gewaltherrschaft, von
der sich seine Untertanen bei den Göttern Erlösung erflehten. Da Kansa
prophezeit worden war, daß die Nemesis ihn in Gestalt des Sohnes seiner
Schwester Devaki und deren Mann Vasudev ereilen würde, ließ er das Paar in
den Kerker werfen und jedes Kind, das sie in Gefangenschaft zeugten,
sofort umbringen. Als Krishna geboren wurde, gelang es seinem Vater
Vasudev mit göttlicher Hilfe, das Neugeborene aus dem Gefängnis zu
schmuggeln. Er vertraute das Kind dem Kuhnhirten Nanda und seiner Frau
Jasoda an, die in Gokul auf der anderen Flußseite lebten.
Krishna wuchs bei seinen Zieheltern heran und wurde bald für seine
übernatürlichen Fähigkeiten, aber auch für seine Lausbubengeschichten in
der ganzen Region bekannt. Krishna liebte es, über die Wiesen zu tollen
und die Hirtenmädchen von Vrindavan mit seinem Flötenspiel zu verzaubern.
Kansa hörte von dem außergewöhnlichen Bauernjungen und erkannte in ihm
seinen Rächer. In der Hoffnung, seinem Schicksal doch noch ein Schnippchen
schlagen zu können, beorderte er Krishna zu einem Kampfturnier. Krishna
besiegte jedoch all seine Gegner und tötete schließlich auch den Tyrannen
Kansa. Er schleifte den Leichnam zur Verbrennung an die Ufer des Yamuna
und ruhte sich schließlich an einer Stelle, die Vishram Ghat oder ,,Ruhe-Ghat“
genannt wird, von den Strapazen aus. Dieser Ort wird heute als heiligste
Stelle in Mathura verehrt.
Nach der Erfüllung seiner Mission verbrachte Krishna seine Jugend in
Dwarka in Westindien, wo er an einem großen Kriegszug teilnahm, der im
Mahabharata beschrieben wird. Nach seinem Weggang nach Dwarka hört
Krishnas Verbindung zu Mathura und Vrindavan eigentlich auf. Aber für die
Menschen, die hier wohnen, lebt Krishna in dieser Region weiter. Es ist
ihr Glaube, der Wirklichkeit und Fiktion zu einer einzigartigen Realität
verschmelzen läßt, die das Wesen von Brajbhumi ausmacht.
Der heilige Wald: Vrindavan bedeutet Wald des vrinda oder tulsi (Basilien-kraut).
Frühe war die Region auch von Kadamba-Bäumen überzogen. Tulsi-Gewächse und
Kadamba-Bäume haben für einen Vaishnava eine besonderer Bedeutung. Fast
jeder Hindu hat ein Tulsi-Gewächs zu Hause, das Gegenstand täglicher
ritueller Verehrung ist. Im Gegensatz zu anderen tirthas (Pilgerstätten)
war Vrindavan keine Pilgerstadt, sondern ein ,,Pilgerwald“. Mathura wird
in alten Schriften eindeutig als tirtha aufgeführt, während Vrindavan
überhaupt keine Erwähnung findet.
Als Chaitanya, der große Heilige aus Bengalen, der
mit der Entstehung des Krishna-Kults in enger Verbindung steht, Vrindavan
besuchte, war es noch Waldgebiet. Der Legende nach soll der Heilige seinen
Anhängern aufgetragen haben, in Vrindavan mehrere Tempel zu errichten.
Sanatana und Rupa, zwei seiner Schüler, waren die ersten Priester des
Govinda-Deva-Tempels, der allerdings seit dem 17. Jahrhundert, in dem die
Statue der Göttin vor einem Raubzug Aurangzebs nach Jaipur in Sicherheit
gebracht worden war, nicht mehr als Kultstätte dient. Erst seit kurzem
kann der Tempel wieder auf eine neue Govinda-Deva-Darstellung stolz sein.
Gopal Bhatt aus Südindien errichtete den Radha-Raman-Tempel, der von
seinen Nachfolgern heute noch verehrt wird. Die Krishna-Darstellung in dem
Tempel entkam dem ikonoklastischen Aurangzeb nur, weil sie mit ihrer Höhe
von 30 Zentimetern unentdeckt blieb.
Entscheidend an der Stadtentwicklung beteiligt war auch der Großmogul
Akbar. Die Legende berichtet, daß Akbar den spirituellen Führer seines
Hofmusikanten Tansen, den Heiligen Hari Das, zu einem Treffen in den
Palast nach Agra einlud. Der Heilige schlug die Einladung mit der
Begründung ab, er wolle lieber am Hofe seines Herrn verweilen. So kam es,
daß Akbar 1573 eine Pilgerreise zu Hari Das unternahm und vier Tempel –
Govinda Deva, Gopinath, Jugal Kishore und Madan Mohan errichten ließ.
In Vrindavan leben etwa 40 000 Menschen. Mehr als doppelt so viele kommen
aber als Touristen oder Pilger. Vrindavan ist auch Zufluchtsstätte der
Vaishnavas, die hier ihren Lebensabend verbringen und in Frieden sterben
wollen. Die Vaishnavas glauben, daß sie, wenn sie in Vrindavan sterben,
vom Zyklus der Wiedergeburt befreit werden. Die Stadt besitzt mehrere
Witwen -und Altenheime (dharamsalas), die von reichen Kaufleuten aus dem
ganzen Land gestiftet und unterhalten werden.
Vrindavan wurde früher im Osten und im Norden vom Yamuna umspült. Der Fluß
änderte aber seinen Lauf und legte einen Großteil der 38 ghats am 2,5
Kilometer langen Stadtufer völlig trocken. Heute haben nur noch fünf ghats
Zugang zum Wasser. Wie in den meisten alten Städten werden auch in
Virndavan die Straßen von offenen Abwasserkanälen gesäumt, die teilweise
noch den Schmutz der Stadt direkt in den schwindenden Yamuna leiten.
Im äußersten Nordosten der Stadt stehen das Kesi Ghat und das Pandawala
Ghat, die als bedeutende Pilgerstätten zahlreiche Gläubige anlocken. Einen
stilvollen Rahmen für die ghats bieten die imposanten Bauwerke im Jat-Stil.
Von den zahlreichen Tempeln der Stadt sind der Govinda-Deva aus dem 16.
Jahrhundert und der Radha Balabh aus dem 17. Jahrhundert sowie der Rangji
und Shaji aus dem späten 19.Jahrhundert besonders sehenswert.
Mathura: Die
moderne Stadt Mathura hat immer mehr Einwohner. Mit der Ansiedlung einer
großen Ölraffinerie und anderen Industrien in der unmittelbaren Umgebung
Mathuras hat sich das Bevölkerungsprofil stark gewandelt. Aber auch heute
noch bleibt Mathura fest seinen alten Traditionen verhaftet. Das Leben der
Menschen kreist wie in früheren Zeiten um traditionelle Feste und
religiöse Riten. Insgesamt stehen 36 große Feste pro Jahr auf dem
Veranstaltungskalender der Stadt.
Trotz ihres hohen Alters präsentiert sich Mathura beute als neue, moderne
Stadt. Nachdem Mathura 1017 von Mamud Ghazni, 1739 von Nadir Shah und 1757
von Ahmad Shah ausgeplündert wurde, nahmen sich die Marathen und Jats von
Bharatpur ihrer an und bauten die Stadt in ihren Grundzügen so auf, wie
wir sie heute sehen. Das organische Stadtprofil ist an den Ufern des
Yamuna ausgerichtet, der die zahlreichen ghats noch immer mit ausreichend
Wasser versorgt. Im Gegensatz zu den verlassenen ghats von Vrindavan
herrscht an den rituellen Wasserstellen Mathuras reges Treiben. Ghats im
Wechsel mit Tempeln, Herrenhäusern, Geschäften, Dharamsalas und heiligen
Straßen prägen des Stadtbild. Heilige Kühe und Tauben mischen sich unter
die Pilger, Einheimischen und Touristen. Der wohl geschäftigste Abschnitt
liegt zwischen dem Vishram Ghat und dem Sati Burj, einem Monument, das
1527 von dem Raja von Jaipur zum Gedenken an die Selbstverbrennung seiner
Mutter errichtet worden sein soll. Nach einer anderen Version soll das
Monument an Behari Mal erinnern, einer Einheimischen, die sich nach dem
Tod ihres Mannes das Leben nahm und ebenfalls zur sati wurde. Am Vishram
Ghat werden die Leichname der Verstorbenen aufgebahrt, bevor sie durch den
Basar zum Krematorium südlich der Brücke getragen werden. Dwarka-dheesh,
1914 im Herzen der Stadt errichtet, ist der bedeutendste Tempel Mathuras.
Hier steht auch die Jama Masjid. Sie wurde 1661 über den Ruinen des
Keshav-Deo-Tempels erbaut und markiert den Geburtsort Krishnas im
Gefängnis des grausamen Tyrannen Kansa.
Das heutige Mathura kann keine großen architektonischen Werke vorzeigen.
Aber alle, die den Weg hierher finden, kommen wegen der zahlreichen
Festivitäten, die den Veranstaltungskalender der Stadt füllen.
Rituelle Feste: Das ganze Jahr hindurch kommen Pilger aus allen
Landesteilen nach Mathura und Vrindavan, um das rituelle parikrama zu
begehen. Dieses beginnt in der Regel mit einem rituellen Bad am Vishram
Ghat, wo es auch wieder endet. Obwohl ein reinigendes Bad nach Beendigung
einer Pilgerreise eigentlich dringend notwendig wäre, verzichten die
meisten Pilger auf diese Wohltat, weil sie den Segen, den sie während des
parikrama erhalten haben, nicht gleich wieder abwaschen wollen.
Große Anziehungskraft besitzen auch die beiden Feste Ekadasi, das am 11.
Tag des Mondkalenders begangen wird, und Poornima, das bei Vollmond
stattfindet. Holi, das Fest der Farbe, wird im Februar/März mit viel bhang,
Gesang und Tanz gefeiert. In Barsana, der Heimatstadt Radhas, wird ein
Scheinkampf zwischen den Männern aus den Nachbardörfern und den Frauen der
Stadt veranstaltet. Anlaß für das Janmashtami im August-September ist der
Geburtstag Krishnas.
Während des Janmashtami finden zahlreiche parikramas und Raslilas statt.
Raslilas sind religiöse Dramen, die die wichtigsten Stationen aus dem
Leben Krishnas darstellen. Ein kompletter Dramenzyklus erstreckt sich über
einen ganzen Monat und teilt sich in mehrere Szenen auf, die an den
Originalschauplätzen aufgeführt werden, mit denen die Episoden in
Verbindung stehen.
Es ist schwierig, all rituellen Feste Mathuras und Vrindavans aufzulisten.
Die Pilger, die hierherkommen, wollen nicht nur eine Reise in eine andere
Welt antreten, sondern sich von der Flut religiöser Ekstase wegschwemmen
lassen, um später wieder in ihrem Leben Ruhe zu finden. Der Bezugspunkt
dieser Menschen ist Krishna als rasik, als Kenner der Liebe, der ihre
tausend Launen ausgekostet hat.
DAS MUSEUM VON MATHURA
Das Regierungsmuseum von Mathura gibt einen tiefen Einblick in die
Kunst-und Kulturgeschichte der Region. Es beherbergt eine umfangreiche
Sammlung der ,,Mathura-Schule“, die vor etwa 2000 Jahren ihre Blüte
erlebte und entscheidenden Einfluß auf die Entwicklung der indischen Kunst
nahm. In einer Region, die im Mittelpunkt des Krischna-Kults steht, mag es
etwas seltsam anmuten, daß der ganze Stolz des Museums antike Kunstwerke
und Skulpturen mit jainistischen oder buddhistischen Themen sind.
Konkrete Hinweise auf die Existenz einer hochentwickelten Zivilisation im
Land der Braj vor 2000 Jahren fehlten bis zum Jahr 1837, als die britische
Kolonialverwaltung bei Bauarbeiten in der Umgebung von Mathura auf die
ersten Beweise stieß. Hier steckte die Archäologie noch in den
Kinderschuhen, und so warteten auf Sir Alexander Cunningham, den ersten
Generaldirektor des Archaeological Survey of India, und auf viele andere
Wissenschaftler sagenhafte Funde in Brajbhumi.
1874 beschloß der Verwaltungsbeamte und Gelehrte F.S. Growse, den Abfluß
indischer Kunstobjekte in die Museen von Großbritannien durch die
Schaffung eines Museums in Mathura einzudämmen. Bis 1973 trug das Museum
den offiziellen Namen ,,Curzon Museum for Archaeology“.
Die Museumssammlung konzentriert sich vor allem auf Terrakotta -und
Sandsteinskulpturen. An der Terrakotta-Sammlung läßt sich besonders gut
die Entwicklung der Skulpturtechniken nachvollziehen. Es besteht ein
gewaltiger Unterschied zwischen den frühen Muttergottheiten aus dem
4.Jahrhundert v.Chr., bei denen die anatomischen Züge noch durch plumpes
Zusammendrücken des Tons erzeugt wurden, und den Arbeiten aus der
Sunga-Periode vom 2. bis 1. Jahrhundert v.Chr., bei denen der Ton
kunstvoll modelliert wurde. Aus dieser Epoche stammt z. B. die herrliche
Kamadeva-Darstellung. Die Kartikeya-Statue aus dem 4.Jahrhundert zeigt
eine Weiterentwicklung der Modelliertechnik und ihre Übertragung auf das
neue Ausdrucksmedium Sandstein.
Mathura ist vor allem für seine Sandsteinskulpturen im Stil der ,,Mathura-Schule“
bekannt. Seit Buddhas Auftreten in der Region war Mathura ein bedeutendes
Kulturzentrum. An wichtigen Handelsrouten gelegen, entwickelte sich die
Stadt zu einem Schmelztiegel verschiedener kultureller Strömungen, die
während der Kushan-Periode (1.bis 3. Jahrhundert) zu ihrer Synthese
fanden.
Kushan war ein Reich, das sich von Afghanistan bis nach Bihar erstreckte.
Seine Herrscher machten Mathura zu ihrer Winterresidenz und stellten die
Kunstentwicklung der Region unter ihre Schirmherrschaft. Die Schule von
Mathura führte die Traditionen von Bharhur und Sanchi weiter. Die Yakshis
(Fruchtbarkeitsdämonen) verewigen ästhetische Traditionen der Region, die
ihren Ausdruck in der typischen tribhanga, der ,,dreifach gebrochenen“
Gestalt, finden. Die Buddha-Statuen, die sich daraus entwickelten, haben
alle runde Gesichter und volle Lippen. Die Kleidung unterscheidet sich
deutlich von der die der ,,apollonische“ Buddha von Gandhara im Nordwesten
Indiens trägt.
Die Kunstschule von Mathura war Träger zweier bedeutender innovativer
Strömungen. Diese Schule verschmolz die traditionelle Kunst des Volkes mit
der von iranischen und indo-baktrischen Einflüssen geprägten Hofkunst und
schuf damit eine neue Formel sowohl für die buddhistische als auch die
hinduistische Ikone, der die indische Statue folgte. Außerdem ersetzte die
Schule von Mathura die symbolische Verehrung Buddhas durch seine
Darstellung in menschlicher Gestalt und revolutionierte so die
Kunstentwicklung in Indien.
Diese Strömung erreichte ihren Höhepunkt während der Gupta-Periode
zwischen 325 und 600. Die späteren Werke der Schule von Mathura besitzen
eine schwerere Ornamentik und sich in ihrer Anordnung komplexer, wie der
sitzende Wischnu und der stehende Surya aus dem 10. Jahrhundert zeigen.
Mit dem Aufsteige des Brahmanismus wurden neue zeitgenössische
Glaubensvorstellungen in die skulpturale Kunst eingebunden.
Als Krishna zum Titulargott von Mathura avancierte, kehrten die Künstler
der Region der skulpturalen Darstellung den Rücken, um sich anderen
Ausdrucksmitteln zuzuwenden. |